© Johann Ev. Hafner

Der Engelsturz

Auszug eines Referates von Johann Ev. Hafner

 

T3 Geschichte

In der Bibel ist nur beiläufig, in fünf sehr unterschiedlichen Passagen von einem verderblichen Abstieg höherer Wesen aus dem Himmel auf die Erde die Rede. Aus ihnen hat man im Laufe der Jahrhunderte immer neue Theorien konstruiert. Die Bibelstellen werden der Übersicht halber hier zitiert:

 

Genesis, Kapitel 6

1 Als sich die Menschen über die Erde hin zu vermehren begannen und ihnen Töchter geboren wurden,

2 sahen die Gottessöhne, wie schön die Menschentöchter waren, und sie nahmen sich von ihnen Frauen, wie es ihnen gefiel.

3 Da sprach der Herr: Mein Geist soll nicht für immer im Menschen bleiben, weil er auch Fleisch ist; daher soll seine Lebenszeit hundertzwanzig Jahre betragen.

4 In jenen Tagen gab es auf der Erde die Riesen, und auch später noch, nachdem sich die Gottessöhne mit den Menschentöchtern eingelassen und diese ihnen Kinder geboren hatten. Das sind die Helden der Vorzeit, die berühmten Männer.

5 Der Herr sah, dass auf der Erde die Schlechtigkeit des Menschen zunahm und dass alles Sinnen und Trachten seines Herzens immer nur böse war.

 

 

Das Lukas-Evangelium, Kapitel 10

17 Die Zweiundsiebzig kehrten zurück und berichteten voll Freude: Herr, sogar die Dämonen gehorchen uns, wenn wir deinen Namen aussprechen.

18 Da sagte er zu ihnen: Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen.

19 Seht, ich habe euch die Vollmacht gegeben, auf Schlangen und Skorpione zu treten und die ganze Macht des Feindes zu überwinden. Nichts wird euch schaden können.

20 Doch freut euch nicht darüber, dass euch die Geister gehorchen, sondern freut euch darüber, dass eure Namen im Himmel verzeichnet sind.

 

 

Der zweite Brief des Petrus, Kapitel 2

4 Gott hat auch die Engel, die gesündigt haben, nicht verschont, sondern sie in die finsteren Höhlen der Unterwelt verstoßen und hält sie dort eingeschlossen bis zum Gericht.

5 Er hat auch die frühere Welt nicht verschont, nur Noah, den Verkünder der Gerechtigkeit, hat er zusammen mit sieben anderen als achten bewahrt, als er die Flut über die Welt der Gottlosen brachte.

 

 

Der Brief des Judas

5 Zwar wisst ihr alles ein für allemal; aber ich will euch dennoch daran erinnern: Obwohl der Herr das Volk aus Ägypten gerettet hatte, hat er später alle vernichtet, die nicht glaubten.

6 Die Engel, die ihren hohen Rang missachtet und ihren Wohnsitz verlassen haben, hat er mit ewigen Fesseln in der Finsternis eingeschlossen, um sie am großen Tag zu richten.

7 Auch Sodom und Gomorra und ihre Nachbarstädte sind ein Beispiel: In ähnlicher Weise wie jene trieben sie Unzucht und wollten mit Wesen anderer Art verkehren; daher werden sie mit ewigem Feuer bestraft.

Der Weg der Irrlehrer

8 Genauso beflecken sich auch diese Träumer, sie missachten die Macht des Herrn und lästern die überirdischen Mächte.

9 Als der Erzengel Michael mit dem Teufel rechtete und über den Leichnam des Moses stritt, wagte er nicht, den Teufel zu lästern und zu verurteilen, sondern sagte: Der Herr weise dich in die Schranken.

10 Diese jedoch lästern über alles, was sie nicht kennen; was sie aber wie die unvernünftigen Tiere von Natur aus verstehen, daran gehen sie zugrunde.

 

 

Die Offenbarung des Johannes, Kapitel 20

7 Wenn die tausend Jahre vollendet sind, wird der Satan aus seinem Gefängnis freigelassen werden.

8 Er wird ausziehen, um die Völker an den vier Ecken der Erde, den Gog und den Magog, zu verführen und sie zusammenzuholen für den Kampf; sie sind so zahlreich wie die Sandkörner am Meer.

9 Sie schwärmten aus über die weite Erde und umzingelten das Lager der Heiligen und Gottes geliebte Stadt. Aber Feuer fiel vom Himmel und verzehrte sie.

10 Und der Teufel, ihr Verführer, wurde in den See von brennendem Schwefel geworfen, wo auch das Tier und der falsche Prophet sind. Tag und Nacht werden sie gequält, in alle Ewigkeit.

 

 

Die Offenbarung des Johannes, Kapitel 12

1 Dann erschien ein großes Zeichen am Himmel: eine Frau, mit der Sonne bekleidet; der Mond war unter ihren Füßen und ein Kranz von zwölf Sternen auf ihrem Haupt.

2 Sie war schwanger und schrie vor Schmerz in ihren Geburtswehen.

3 Ein anderes Zeichen erschien am Himmel: ein Drache, groß und feuerrot, mit sieben Köpfen und zehn Hörnern und mit sieben Diademen auf seinen Köpfen.

4 Sein Schwanz fegte ein Drittel der Sterne vom Himmel und warf sie auf die Erde herab. Der Drache stand vor der Frau, die gebären sollte; er wollte ihr Kind verschlingen, sobald es geboren war.

5 Und sie gebar ein Kind, einen Sohn, der über alle Völker mit eisernem Zepter herrschen wird. Und ihr Kind wurde zu Gott und zu seinem Thron entrückt.

6 Die Frau aber floh in die Wüste, wo Gott ihr einen Zufluchtsort geschaffen hatte; dort wird man sie mit Nahrung versorgen, zwölfhundertsechzig Tage lang.

Der Sturz des Drachen

7 Da entbrannte im Himmel ein Kampf; Michael und seine Engel erhoben sich, um mit dem Drachen zu kämpfen. Der Drache und seine Engel kämpften,

8 aber sie konnten sich nicht halten und sie verloren ihren Platz im Himmel.

9 Er wurde gestürzt, der große Drache, die alte Schlange, die Teufel oder Satan heißt und die ganze Welt verführt; der Drache wurde auf die Erde gestürzt und mit ihm wurden seine Engel hinab geworfen.

10 Da hörte ich eine laute Stimme im Himmel rufen: Jetzt ist er da, der rettende Sieg, / die Macht und die Herrschaft unseres Gottes / und die Vollmacht seines Gesalbten; denn gestürzt wurde der Ankläger unserer Brüder, der sie bei Tag und bei Nacht vor unserem Gott verklagte.

11 Sie haben ihn besiegt durch das Blut des Lammes / und durch ihr Wort und Zeugnis; sie hielten ihr Leben nicht fest, / bis hinein in den Tod.

12 Darum jubelt, ihr Himmel / und alle, die darin wohnen. Weh aber euch, Land und Meer! / Denn der Teufel ist zu euch hinab gekommen; seine Wut ist groß, / weil er weiß, dass ihm nur noch eine kurze Frist bleibt.

Der Kampf des Drachen gegen die Frau

13 Als der Drache erkannte, dass er auf die Erde gestürzt war, verfolgte er die Frau, die den Sohn geboren hatte.

14 Aber der Frau wurden die beiden Flügel des großen Adlers gegeben, damit sie in die Wüste an ihren Ort fliegen konnte. Dort ist sie vor der Schlange sicher und wird eine Zeit und zwei Zeiten und eine halbe Zeit lang ernährt.

15 Die Schlange spie einen Strom von Wasser aus ihrem Rachen hinter der Frau her, damit sie von den Fluten fortgerissen werde.

16 Aber die Erde kam der Frau zu Hilfe; sie öffnete sich und verschlang den Strom, den der Drache aus seinem Rachen gespien hatte.

17 Da geriet der Drache in Zorn über die Frau und er ging fort, um Krieg zu führen mit ihren übrigen Nachkommen, die den Geboten Gottes gehorchen und an dem Zeugnis für Jesus festhalten.

18 Und der Drache trat an den Strand des Meeres.

 

 

Bezug zum Motiv „Engelsturz"

- Gen 6 handelt von der Vermischung der Gottessöhne mit den Menschentöchtern. Bereits in der Bibel selbst werden unter „Gottessöhnen" der Hofstaat Gottes, die Engel samt Satan (Hiob1,6), verstanden. Der Verkehr von Engeln mit Menschen hat für letztere die sittliche Verderbnis zur Folge. Gott bestraft sie daher mit der Sintflut. Für erstere hat es den Verlust der himmlischen Wohnung zur Konsequenz. So deutet es das Henoch-Buch im 1. Jahrhundert v.Chr. (1Hen 6-8).

- Luk 10 bringt die Erfolgsmeldungen der Jünger, wonach sie mit dem Jesus-Namen Besessene zu heilen vermögen. Jesus bestätigt, dass die Macht des Teufels (Schlangen und Skorpione sind seine Symboltiere) gebrochen sei. Satan hatte ihn schon früher in Versuchung geführt (Lk 10: Steine zu Brot zu verwandeln, Satan anzubeten, Schutzengel zu bemühen) und wird später Besitz von Judas, dem Verräter, ergreifen (Lk 22). Von der Gefangennahme bis zu Jesu Tod am Kreuz „hat die Finsternis Macht" (Lk 22,53). Nach der Auferstehung fährt Jesus zum Himmel, aus dem er in Lk 10 Satan stürzen sah.

- 2Petr 2 bezieht sich auf Gen 6 (Abstieg der Gottessöhne und darauf folgende Sintflut). Obwohl es in Gen 6 nicht explizit genannt ist, deutet 2Petr diese Stelle als strafenden Hinauswurf der Engel aus dem Himmel und ihre Einkerkerung in der Unterwelt. Die Rede von der „Sünde der Engel" wird für die gesamte Angelologie zu einem Schlüsselbegriff werden, da hier erstmals ein Bestrafungsgrund genannt wird. Gen 6 hatte nur berichtet, nun wird moralisch bewertet. Die Passage richtet sich insgesamt gegen Irrlehrer des frühen 2. Jahrhunderts, die die Wiederkunft Christi bezweifelten und denen dieser Brief das Gericht vor Augen hält.

- Jud argumentiert ähnlich wie 2Petr 2 (der Jud zitiert). Er wendet sich gegen Irrlehrer, denen er ein Strafgericht androht. Wie es böse Engel, böse Israeliten gegeben habe, so gebe es auch böse Christen. Der Judas-Brief kennt die Engeltradition aus 1Hen. Engelsein schützt vor Strafe nicht.

- Offb 20 beschreibt diese Vorstellung aus 2Petr und Jud lebhaft. Am Ende der Zeiten wird Satan aus seinem Gefängnis noch einmal herausgelassen, um kurz danach endgültig besiegt zu werden. Diese Stelle hat also nur mittelbar mit dem Engelsturz aus dem Himmel zu tun. Sie wurde in Endzeit-Predigten dazu verwendet, in der bösen Gegenwart das letzte Aufbäumen des Teufels und das Nahen des Jüngsten Gerichts zu sehen. Da dies am Ende der letzten 1000 Jahre stattfinden wird, nennt man diese Theologie „Milleniarismus" (lat. millenium für Tausend).

- Offb 12. Dieses Kapitel hat wohl dazu geführt, dass aus den übrigen sporadischen Anmerkungen zum Engelsturz ein festes theologisches Motiv wurde. Zum einen bietet diese Stelle – mit Rückgriff auf das Geburtszeichen in Jes 7 und 66 - Anlass, in der kosmischen Frau Maria, in dem Kind Christus und in der Gefährdung durch den Drachen die Verfolgung der frühen Christenheit zu sehen. Eingefügt in dieses Zeichen am Himmel ist die Passage vom Engelkampf. Der Sinn dieses Kampfes bleibt rätselhaft, da der Drache auch nach seinem Sturz noch die Frau verfolgt. Der Drache wird in 12,9 mit dem Teufel identifiziert, der seinen Platz am Himmel verliert, auf die Erde geworfen wird und von nun an dort wirkt. Die Himmel sind gereinigt, aber „Land und Meer" umso mehr mit Teuflischem belastet.

Dahinter steht die Vorstellung von einem Krieg im Himmel, bei dem die guten Engel unter Michael schließlich die bösen Engel unter Satan besiegen und hinab werfen. Dieses Triumphmotiv schmückt die Ottobeurer Basilika gleich dreimal: die Außenfassade [229a], die siegreiche Ecclesia [120] und die Chorkuppel [30]. Dieser Kampf aber ist noch nicht die Erlösung, sondern der Beginn des Kampfes gegen das Böse auf Erden. Im Barock überwiegt aber deutlich das Motiv des Sieges gegenüber dem Motiv der verschärften Gefährdung.

 

 

Gibt es böse Kreaturen?

Bereits sehr früh hat sich die Theologie – angetrieben von gnostischen Interpretationen, die neben dem Lichtreich ein eigenes Reich der Mitte und des Dunklen annahmen – dem Problem zugewandt, ob die bösen Engel bereits von Gott böse geschaffen sind. Hat Gott sein Gegenteil hervorgebracht? Augustinus beantwortet diese Frage mit einer genialen Interpretation. Er datiert den Engelsturz bereits vor der Erschaffung der Erde am ersten Tag (Vom Gottesstaat 11,32f.).

Genesis Kapitel 1

3 Gott sprach: Es werde Licht. Und es wurde Licht.

4 Gott sah, dass das Licht gut war. Gott schied das Licht von der Finsternis.

Da diese Stelle sich nicht auf das natürliche Licht beziehen kann – Sonne, Mond und Sterne werden erst am vierten Tag geschaffen – so sind mit dem Licht des ersten Tages die Engel gemeint. Nur das Licht wird gut geheißen, die Finsternis wird daraus abgeschieden. Sie steht für die Teufel. Die Teufel werden also nicht geschaffen, sondern geschieden. Augustinus und später viele Theologen und Päpste werden nicht müde zu betonen, dass es nicht Gott war, der gute Engel böse macht, sondern dass sie nach ihrer Erschaffung aus eigenem freien Entschluss „böse wurden". Bosheit hat demnach sich selbst zur Ursache, nicht Gott. Was aber heißt böse werden? Gnostische Sekten haben darin die Entstehung einer ganz neuen Substanz gesehen, eine Art Gegenwelt. Dagegen definierte Leo der Große im Jahr 447 „denn Gott, der der Schöpfer von allem ist, hat nichts gemacht, was nicht gut ist. Daher wäre auch der Teufel gut, wenn er in dem, als was er gemacht wurde, verbliebe. Aber weil er seine natürliche Vortrefflichkeit schlecht gebraucht ‚und nicht in der Wahrheit stand’ (Joh 8,44), ist er nicht in eine entgegen gesetzte Substanz übergegangen, sondern ist vom höchsten Gut, dem er hätte anhand sollen, abgefallen." (Denzinger/Hünermann, Nr. 286). Das Böse ist demnach nicht eine eigene Substanz, sondern eine Strafe für die Substanz.

 

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