Rom (www.kath.net /
welt.de)
02. Dezember 2005
Pater Pedro Barrajón L.C. wurde 1957 in Ciudad Real in Spanien
geboren. Seit seinem Studium, zwei Lizenziaten und einem Doktorat an
der römischen Gregoriana-Universität lehrt er heute als Professor
der Anthropologie am päpstlichen Athenäum „Regina Apostolorum“
Theologie und Philosophie. Nach zahlreichen Anfragen leitet er in
diesem Wintersemester dort für das Institut „Sacerdos“ am Rand Roms
zum zweiten Mal einen viel beachteten Kurs zu verschiedenen Aspekten
des Phänomens so genannter Besessenheit. Der Titel des Kurses lautet
„Exorzismus und Gebete um Befreiung“.
DIE WELT: Kurz nach seiner
Wahl begrüßte Benedikt XVI. eine große Gruppe von Exorzisten. War
das ein Signal?
Professor Pedro Barrajón: Nein,
es war nur ein routinemäßiges Treffen der Exorzisten Italiens. Die
Lehre der katholischen Kirche zum Bösen ist seit Jahrhunderten
unverändert.
Was lehrt sie?
Barrajón: Sie basiert in erster
Linie auf der Bibel, nach der Gott alle Wesen geschaffen hat: die
Menschen ebenso wie die reinen Geister, also auch die Engel und
Dämonen.
Gott hat die Dämonen
geschaffen?
Barrajón: Er hat alles
geschaffen. Nach christlicher Tradition sind Dämonen und Teufel
gefallene Engel. Es sind Engel, die gegen Gott revoltiert haben und
weiter rebellieren seit Beginn der Schöpfung. Sie wurden Teufel. Sie
waren Engel. Und sie sind immer noch rein geistige Wesen. Es sind
böse Engel.
Wie konnte Gott das Böse dann
überhaupt je zulassen?
Barrajón: Unserer Freiheit
zuliebe! Das Böse ist notwendig an das Geschenk der Freiheit
geknüpft. Gott hat den Menschen frei geschaffen. In der Abwägung
zwischen der Zulassung des Bösen und der Gabe der Freiheit hat er
sich für die Freiheit entschieden. Ohne die Möglichkeit der freien
Wahl zum Guten oder Bösen gibt es keine Freiheit. Das heißt: Gott
schätzt die Freiheit höher als all unsere Sünden. Tiere sind nie
böse – sie sind aber auch nie frei. Mit der Freiheit hat Gott uns
über die Tiere erhoben.
Wie müssen wir uns die reinen
Geister vorstellen?
Barrajón: Sie haben Willen. Sie
haben Intelligenz. Aber sie haben keine Sinne. Sie haben keinen
Körper. Körper sind allein Attribute des Menschen und der Tiere.
Nach dem Glauben der Christen
ist Gott Person. Ist das Böse und der Teufel auch Person?
Barrajón: Der Schweizer Theologe
Karl Barth sagte, der Dämon ist eine unpersönliche Person. Denn was
ist eine Person? Es ist ein Wesen mit einer spirituellen Natur, mit
Intelligenz und Willen, in der die Intelligenz die Wahrheit sucht
und der Wille das Gute. Der Dämon hat Intelligenz und Willen, doch
sein Wille sucht das Böse und seine Intelligenz das Unwahre. In
diesem Sinn sagte Karl Barth, der Teufel sei eine persönliche
Nichtperson, er sei “das Nichtige”.
Hat er ein Gesicht?
Barrajón: Nein. Aber Gott kann
zulassen, dass Engel wie Dämonen physische Erscheinungsweisen
annehmen. So können Engel den Menschen erscheinen, um ihnen
Botschaften zu überbringen. Und so kann Gott auch zulassen, dass
Dämonen physische Qualitäten annehmen und in der Weise von Menschen
oder Tieren erscheinen – das betrifft aber nicht ihr Wesen. Sie
können diese Formen nur annehmen. Sie haben sie nicht.
Haben sie Geruch?
Barrajón: Von einigen Heiligen
wird berichtet, dass sie Teufel riechen konnten – wie die große
Teresa von Avila. Der Satan stank für sie.
Nach Schwefel?
Barrajón: Manche Heilige sagen
das so. Es ist wohl vor allem nur widerlicher Gestank.
Was ist die Heimat der
Dämonen? Die Hölle?
Barrajón: Ja. Die Hölle wurde
für sie geschaffen, nicht für die Menschen.
Auch die Hölle wurde
geschaffen?
Barrajón: Ja. Die Engel wurden
ja geschaffen, folglich auch gefallene Engel, folglich auch die
Hölle. Es ist keine Selbstschöpfung. Die Hölle ist auch kein Platz,
es ist ein Zustand. Es ist der Zustand, in dem die Dämonen zu sich
selbst finden: in ihrem Hass gegen Gott. Es ist der Zustand der
Negation der Liebe. Gott ist die Liebe. Hölle ist die Gegenliebe –
es ist der Hass. Hölle ist eine Vorstellung vom Zustand dieses
Geistes. Hölle ist der Zustand des ewigen Nichtliebens. Es ist auch
das ewige Nicht-Annehmen der Liebe Gottes.
Gibt es objektive Kriterien
zur Erkenntnis, dass ein Dämon von jemandem Besitz ergriffen hat?
Barrajón: Der neue Ritus des
Exorzismus fasst die Kriterien für den Fall der Besessenheit sehr
klar zusammen. Das Deutlichste ist für mich als Priester die tiefe
Aversion gegen heilige Objekte, wie das Kreuz, der Rosenkranz oder
Kreuzzeichen. Auch die Aversion gegen das Wort Gottes, bei deren
Lektüre solche Personen ganz nervös werden. Weniger wichtige
Kennzeichen sind übernatürliche Fähigkeiten, die diese Personen
plötzlich entwickeln können. Dass sie Fremdsprachen sprechen, die
sie nie gelernt haben. Dass sie sogar levitieren: dass sie schweben
und die Schwerkraft überwinden können. Manchmal werden sie
unerklärlich stark und gewalttätig. Es ist jedoch nicht so einfach,
Fälle von Besessenheit genau zu bestimmen. Ich lade die Personen
immer zuerst ein, einen Nervenarzt oder Psychiater aufzusuchen,
bevor ich mich weiter mit ihrem Fall befassen will. Wenn ich von
diesen Fachleuten den Hinweis bekomme, dass sie nicht weiter wissen,
kann ich mit einer spirituellen Behandlung beginnen. Grob lässt sich
sagen, dass unter zehn Personen, die um einen Exorzismus nachfragen,
ein Fall wirklicher Besessenheit dabei ist.
Gibt es Gründe für
Besessenheit?
Barrajón: Wir kennen sie nicht.
Wir können auch nicht sagen, warum ein Mensch Krebs bekommt und der
andere nicht. Wir haben auch keine Erklärung dafür. Wir wissen nur,
dass Gottes Macht und Liebe größer ist – bei unseren physischen wie
spirituellen Krankheiten. So muss die Besessenheit gesehen werden.
Wie verläuft ein Exorzismus?
Barrajón: Die Kirche verlangt
von dem Priester, der eine solche “Austreibung” durchführt, zuerst
die moralische Gewissheit, dass es sich um Besessenheit handelt.
Absolute Sicherheit gibt es ja nicht. Darum ist es für einen
Exorzisten höchst bedeutsam, dass er ein Mann des Gebets und des
Fastens ist.
Und dann?
Barrajón: Der Exorzismus ist ein
großes offizielles Gebet, in der die Kraft der Kirche gegenwärtig
ist. Das ist der Kern. Manchmal wird Weihwasser dazu benutzt oder
Weihrauch, und immer ein Kruzifix in den Händen des Priesters.
Mehrere Personen sollen außer dem Priester dabei sein für den Fall,
dass der Besessene gewalttätig wird. Die Menschen verändern sich
nämlich in der Teufelsaustreibung. Sie bleiben dabei nicht mehr die
gleichen. In diesem Ritus gibt sich der Dämon zu erkennen angesichts
der Gegenwart Gottes und mehrerer Menschen, die gemeinsam beten. Oft
wird er gewalttätig, weil er weiß, dass er in gewisser Weise schon
überwunden ist. Die Stimme eines Besessenen ändert sich dabei
normalerweise und wird sehr unangenehm.
Auch erschreckend?
Barrajón: Überhaupt nicht. Mir
tut in solchen Momenten immer nur der Mensch leid, der besessen ist.
Denn er leidet – und du siehst, dass er leidet. Doch zur gleichen
Zeit bist du froh, weil du weißt, dass der Exorzismus ihn von dieser
Pein befreien wird. Jeder Exorzismus beginnt mit einer Anrufung des
dreifaltigen Gottes: des Vaters, des Sohnes und des heiligen
Geistes. Daran schließt sich eine Lektüre von Abschnitten aus der
Bibel an, bevor eine Art Dialog zwischen dem Exorzisten und der
besessenen Person beginnt, worin der Exorzist nach dem Namen des
Dämonen fragt. Das ist immer ein schwieriger Moment. Das Böse will
sich nie offenbaren. Oft lügt er.
Warum will er seinen Namen
nicht preisgeben?
Barrajón: Der Name enthüllt sein
Wesen. Der Name ist nicht “Schall und Rauch”, wie Franz Rosenzweig
einmal sagte, im Gegenteil sei “der Name Wort und Feuer”. Der Name
Jesus bedeutet: “Gott rettet”. Isaak, Jakob, all diese Namen haben
eine besondere Bedeutung. Und immer enthüllt er das Wesen der
Person. Wenn ich meinen Namen nenne, sage ich auch: Ich bin hier.
Kein Dämon will jemals seinen Namen nennen.
Und wenn er ihn genannt hat?
Barrajón: Am Ende sagt der
Priester zu dem Dämon: Geh weg! Verschwinde! Meistens antwortet der
Dämon dann zuerst: Nein. Ich will nicht. Er rebelliert und
revoltiert. Manchmal sagt er: Du hast keine Macht über mich. Du bist
ein Nichts für mich. Nach und nach lässt dann sein Widerstand nach.
Meistens geschieht dies nach Anrufungen der Gottesmutter, die dafür
sehr wichtig ist. Kein Dämon wagt jemals, sie in einem Exorzismus zu
beleidigen. Nie.
Hat er vor Maria mehr Respekt
als vor Gott selbst?
Barrajón: Offensichtlich. Sonst
werden alle beleidigt: die Priester, alle, die zugegen sind, die
Bischöfe, der Papst, sogar Jesus Christus, doch nie die Jungfrau
Maria. Es ist ein Mysterium.
Und dann?
Barrajón: Nun, ein Exorzismus
kann bis zu einer Stunde dauern – und schließt mit Gebeten ab. Es
empfiehlt sich, ihn nicht zu lange dauern zu lassen, weil dieser
Kampf für alle Anwesenden sehr schwer und anstrengend ist – und für
die Person selbst. Nach dem Exorzismus fühlen alle eine große
Erleichterung, als könnten sie neu atmen. Doch in vielen Fällen wird
auch ein neuer Exorzismus notwendig. Ich kenne Fälle, wo Personen
erst nach mehreren Exorzismen völlig frei wurden und ein neues Leben
beginnen konnten. Oft sagen sie, dass es für sie wie eine Neu-Geburt
sei.
Nun gibt es doch so viel
Böses in der Welt. Sehen Sie sich all die Kriege an, all die
Massaker, die Tyrannen und Mörder. Ist es da nicht eigenartig, dass
der Teufel auch noch mit einzelnen armen Teufeln sein Spiel treibt
und sich ihrer bemächtigt. Hat er nichts Besseres zu tun:
Schlimmeres? Ist er nicht schon beschäftigt genug?
Barrajón: Das ist wirklich ein
Geheimnis. Fälle von Besessenheit scheinen mir wie die böse
Kehrseite ebenfalls unerklärlicher Wunder, die wir auch beobachten
können. Der Teufel ist überall gegenwärtig, wo Böses innerhalb der
normalen Naturgesetze geschieht. In jedem, der sagt: ich akzeptiere
die Liebe nicht, die Liebe zu meinen Brüdern und Schwestern, die
Liebe zu Gott: also an sehr vielen Orten, in allen Massakern, in
jedem Mord, in physischen Katastrophen, in jedem
Konzentrationslager, in jedem Bösen. Manchmal manifestiert er sich
merkwürdigerweise aber auch in Fällen von Besessenheit. Sehr viel
gefährlicher ist er aber, wo er sich nicht zu erkennen gibt und
nicht mit einem Exorzismus vertreiben lässt. Keine Frage. Da ist er
sehr viel gefährlicher.
Foto: (c) Paul Badde
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