«Der Teufel ist wortkarg»
Hardrocker Marilyn Manson ist besessen, Harry Potter verführt zur Magie,
und Satan weiß, ob Inter Mailand gewinnt:
Der Teufelsaustreiber Gabriele Amorth über seine Arbeit.
Interview: Doris Ladstaetter
FACTS: Pater Gabriele, wie wird man Exorzist?
Gabriele Amorth: Man muss Geistlicher sein und die Erlaubnis des
Bischofs haben. Exorzismus ist ein Sakrament. Jesus hat uns Priestern drei
Aufgaben gegeben: Predigen, Dämonen verscheuchen und Kranke heilen.
Beschränkten wir uns aufs Predigen, vernachlässigten wir unsere Pflicht.
FACTS: Es gibt keine Ausbildung?
Amorth: Nein. Deshalb habe ich 1992 die internationale Vereinigung
der Exorzisten gegründet. Auf den Treffen können wir uns gegenseitig etwas
beibringen. Anfangs waren wir zwölf, heute sind wir Hunderte.
FACTS: Warum operieren in Italien über 300 Exorzisten – und in der
Schweiz traut sich niemand, darüber zu sprechen?
Amorth: Nach den Hexenverfolgungen wagte drei Jahrhunderte lang
niemand mehr, Exorzismus zu praktizieren. Deutschsprachige Theologen fingen
sogar an, die Exorzismen von Jesus Christus zu leugnen. Das hat die Bischöfe
und Geistlichen zusätzlich entmutigt. In Italien hingegen hat 1972 die Rede
von Papst Paul VI. das Eis gebrochen. Ausserdem haben meine Bücher,
Interviews und Fernsehauftritte viel bewegt.
FACTS: Sie haben keine psychiatrische Ausbildung. Wie können Sie
unterscheiden, ob jemand vom Teufel besessen oder psychisch krank ist?
Amorth: Ich studiere die Person, suche nach verdächtigen Anzeichen,
frage nach der Ursache der Beschwerden. Erzählt jemand, die Symptome seien
nach einer spiritistischen Sitzung aufgetreten, nach dem Besuch bei einer
satanistischen Sekte, bei einem Magier oder Kartenleser, werde ich
hellhörig. Auf Besessenheit deutet auch, wenn jemand auf heilige Symbole
allergisch reagiert, wenn er nicht mehr zur Messe kann, ohne in Ohnmacht zu
fallen, wenn er sich wütend auf dem Boden wälzt, sobald er gesegnet wird.
FACTS: Dann ist er ein neuer Patient für Sie?
Amorth: Ob der Mensch tatsächlich besessen ist, finde ich erst
während des Exorzismus heraus. Ein Besessener hat eine doppelte
Persönlichkeit. Die des Individuums schläft während des Exorzismus. Deshalb
kann sich ein Patient im Nachhinein an nichts erinnern. Mit Gebeten locke
ich den Dämon aus dem Patienten, der sich dessen Stimme und Körper bedient.
Dann spreche ich mit ihm.
FACTS: Worüber?
Amorth: Ich frage nach seinem Namen, nach dem Wann und wie er in den
Menschen geschlüpft ist und wann er wieder gehen will. Hat er das Opfer auf
Grund einer Verfluchung heimgesucht? Alle diese Fragen nutzen der Befreiung.
Ich stelle sie nicht aus Neugier. Das ist verboten.
FACTS: Wie lautet eine verbotene Frage?
Amorth: Ob Inter Mailand oder Milan gewinnt.
FACTS: Wüsste der Teufel die Antwort?
Amorth: Ja. Aber der Teufel lügt. Und er ist wortkarg, weil er sich
verstecken will. Er ist glücklich über alle, die nicht an seine Existenz
glauben, ihn lächerlich machen und ihn mit Schwanz, Hörnern und
Fledermausflügeln abbilden.
FACTS: Und wie sieht er wirklich aus?
Amorth: Der Teufel ist nur ein Geist. Er ist ein Engel, der sich
gegen Gott aufgelehnt hat.
FACTS: Haben Sie Angst vor dem Teufel?
Amorth: Niemals. Er hat Angst vor uns.
FACTS: Bedroht er Sie?
Amorth: Er sagt mir höchstens mal: «Heute werfe ich dich aus dem
Bett» oder «Heute komme ich mit einer Schlange in dein Bett».
FACTS: Drohen Sie ihm auch?
Amorth: Ich bete. Der Exorzismus ist ein Gebet. Dazu spricht man die
Befehle «In meinem Namen, vertreibt die Dämonen!», oder auch «Im Namen
Gottes, Satan weiche!». Und es werden Psalme rezitiert.
FACTS: 1999 hat der Vatikan ein neues Ritual für
Teufelsaustreibungen abgesegnet. Es empfiehlt unter anderem, einen
Psychiater hinzuzuziehen.
Amorth: Das alte Ritual stammte aus dem Jahr 1614. Ich praktiziere es
weiter mit den alten Gebeten. Das kann man mit Erlaubnis des Bischofs.
Leider sind in den neuen Kodex die Vorstellungen von deutschen und Schweizer
Bischöfen eingeflossen. So ist es jetzt verboten, im Fall einer Verfluchung
zu exorzieren. Das sind aber die häufigsten Fälle. Außerdem sind
Austreibungen nur erlaubt, wenn die Präsenz des Dämons sicher ist. Es ist
aber unmöglich, das vorher zu wissen. Unsere Arbeit wird mit diesem Kodex
fast verhindert.
FACTS: Gibt es heute noch viele Besessene?
Amorth: Die Verführungen sind gross, denn der Glaube ist nicht mehr
stark vertreten. In Italien gehen nur 10 Prozent der Bevölkerung in die
Kirche. Die restlichen 90 Prozent sind gefährdet, irgendwelchen Magiern,
Kartenlesern oder dem Satanisten-Boom zu verfallen. 37 Prozent der
italienischen Jugendlichen nehmen an spiritistischen Sitzungen teil, an
denen sie mit Toten zu kommunizieren versuchen. Viele hören satanischen Rock
von Marilyn Manson. Das sind gefährliche Momente, in denen der Dämon Besitz
vom Menschen ergreifen kann.
FACTS: Ist der Rocker Marilyn Manson vom Teufel besessen?
Amorth: Aber sicher! Und wie!
FACTS: Haben Sie ihn getroffen?
Amorth: Nein, aber ich habe seine Texte gelesen. Sie sind voller
sublimer Nachrichten, wenn man sie rückwärts liest. Sie verherrlichen Satan,
«Du bist mein Gott», heißt es da. Sie verherrlichen den Selbstmord und
plädieren für eine Welt ohne Moral.
FACTS: Wer verführt uns noch?
Amorth: Harry Potter. Er verführt zur Magie.
FACTS: Waren Hitler und Stalin auch vom Teufel besessen?
Amorth: Sicher waren sie das. Der ganze Nationalsozialismus stand
unter dem Einfluss des Teufels. Der Dämon hat Hitler suggeriert, was zu tun
ist. Auch Marx war vom Teufel besessen.
FACTS: Wie viele Behandlungen hätten Sie da gebraucht, um den
Teufel loszuwerden?
Amorth: Viele. Wenn jemand wirklich besessen ist, braucht es Jahre.
Manche Patienten benötigten Hunderte von Sitzungen.
FACTS: Ein Vollzeitjob.
Amorth: Früher habe ich täglich 15 Exorzismen gemacht. Auch an
Weihnachten und Ostern. Heute sind es weniger. Ich werde alt. Aber insgesamt
habe ich wohl so zwischen 50'000 und 60'000 Austreibungen hinter mir.
FACTS: Wollten Sie dieses Leben?
Amorth: Aber nein! Ich hatte 1986 zufällig ein Gespräch mit dem
damaligen Kardinal Poletti von Rom. Ich erzählte ihm, dass ich Roms einzigen
Exorzisten kannte, der damals sehr krank war. «Sie sind jetzt sein Gehilfe»,
hat Kardinal Poletti geantwortet. Ich protestierte. Aber es hat nichts
genützt.
31.03.2004