Der Chef-Exorzist des Papstes
Unerklärlich: Er wirkt im Verborgenen, seine Fälle
stecken voller Rätsel. Pater Gabriel Amorth (81) will schon mehreren
Tausend Menschen den Teufel ausgetrieben haben.
Von Andreas Englisch
Rom - Der rätselhafteste
Ort der katholischen Kirche liegt versteckt inmitten von Supermärkten
und Hochhäusern in der Via Alessandro Severo am römischen Stadtrand.
Wenn es nach dem Willen der meisten Bischofskonferenzen der Welt, auch
der deutschen ginge, dann dürfte es dieses Kloster und einige seiner
Bewohner eigentlich gar nicht geben. Denn hier liegt das Hauptquartier
einer uralten Einrichtung der Kirche, von der heute aber viele Priester
nichts mehr wissen wollen. Hier residiert der Chef der Weltorganisation
der Exorzisten der katholischen Kirche, Pater Gabriel Amorth (81).
Es ist ein unheimlicher Ort. Die normale Welt scheint zu verschwinden,
sobald man das Kloster betreten hat. Besucher werden von der
Klosterpforte durch lange, dunkle, fensterlose Korridore zu einer mit Tüchern
verhängten Glastür geführt. Dahinter liegt das Wartezimmer von Don
Gabriel Amorth. Eine Wasserflasche steht auf dem Tisch, abgeschabte Stühle
stehen an der Wand. Die Wände sind durch zentimeterbreite Risse
entstellt, der Raum wirkt, als habe er ein Erdbeben knapp überstanden.
Don Amorth kommt herein, er hat ein düsteres Gesicht, ein Kruzifix in
der Hand, über dem Priestergewand trägt er eine lila Stola. Er öffnet
die Tür zu dem Raum, in dem er den Exorzismus betreibt. Es ist ein neun
Quadratmeter kleines Zimmer, ähnlich einer Kapelle. Überall hängen
Heiligenbildchen, an der Wand steht ein Bett, daneben liegen Fesseln in
einem Kasten - für das, was Pater Amorth schwere Fälle nennt. Diese
Menschen werden an das Bett gefesselt, die leichteren Fälle sitzen in
einem Sessel gegenüber. Hier hat er 40 Jahre lang Tausende von
Exorzismen vorgenommen, fast nur schwere Fälle. Als Fesseln benutzt
Pater Amorth, was er im Kloster finden kann - meist alte Leinen, die
einmal dazu dienten, Rollläden hochzuziehen.
Die Exorzistenorganisation beschäftigt sich nicht einfach mit unerklärlichen,
übernatürlichen Phänomenen, sondern ganz präzise mit dem Eingriff
Satans in diese Welt. Manchmal etwa bitten Ärzte oder Psychiater
Exorzisten um Hilfe, weil sie befürchten, mit Patienten zu tun zu
haben, die nicht an einer Krankheit leiden, sondern vom Satan besessen
sind. Der Umgang ist in solchen Fällen äußerst diskret. Alle
Beteiligten versuchen, so wenig wie möglich nach außen dringen zu
lassen.
Ein Exorzismus ist erst dann erlaubt, wenn medizinisch keine Einwände
bestehen, dass es sich um einen Patienten handelt, der unter völlig
unerklärlichen Phänomen leidet. Die in der römischen Ärztekammer
organisierten Psychiater erstellen die Gutachten vor Exorzismen, bis auf
einige wenige: Sie weigern sich, weil sie Angst haben. Angst vor dem
Teufel.
"Ich hielt Exorzismus für Hokuspokus", berichtet der
Psychiater Dr. Vincenzo M., der in einem Fall mit Don Amorth 1993
zusammenarbeitete. "Ich glaubte weder an den Satan noch an Gott,
aber ich akzeptierte. Die Patientin war eine junge Frau, sie kam in mein
Behandlungszimmer, und ich schwöre, die nächste halbe Stunde war die
schlimmste meines Lebens. Ich spürte sofort, dass etwas ganz Seltsames
geschah, denn ich hatte vor einem Patienten panische Angst. Ich wollte
nur, dass sie wieder geht, ich wollte, dass sie so schnell wie möglich
mein Zimmer verlässt. Ich schrieb das Rezept auf und hoffte, dass sie
gehen würde."
Was dann geschah, wiederholte der Arzt vor einer Untersuchungskommission
unter Eid: "Ihre Arme verlängerten sich, von ihrem Stuhl aus wuchs
ein Arm blitzschnell um etwa zwei Meter, ihre Hand war eine Kralle, sie
zerfetzte meinen Rezeptblock, und die junge, attraktive Frau sagte mit
der tiefen Stimme eines alten Mannes: ,Solchen Unsinn brauche ich
nicht.' Dann schrumpfte der Arm wieder, ich rannte in Panik aus dem
Raum."
Einen weiteren Fall von Don Amorth nahm die Polizeikommandantur der
Toskana auf. Der 26 Jahre alte Automechaniker A. G. arbeitete in seiner
Werkstatt, als er hörte, wie sich etwas Schweres über den Boden
schleppte. Er sah in den vorderen Raum und erkannte den schweren
Werkzeugschrank, der sich in seine Richtung über den Boden schob.
Augenzeugen sahen von außen zu. Sie sahen auch, wie das Auto, dass der
junge Mann reparieren wollte, sich plötzlich von allein um die eigene
Achse drehte und sich quer vor den Eingang der Werkstatt stellte, so
dass der Mann nicht fliehen konnte. Passanten riefen einen
Streifenwagen, die Beamten holten den Mann aus dem Hinterzimmer. Auch
die Beamten bestätigten, dass sie gesehen hatten, dass der sehr schwere
Schrank sich von allein auf den Mann zuschob.
Die Mehrzahl der Kardinäle im Vatikan hält solche Fälle für blanken
Unsinn und Exorzismus für einen Ritus des Mittelalters. Seit dem Jahr
1999 ist Exorzismus in der katholischen Kirche nur in extremen Einzelfällen
möglich, ansonsten aber verboten. Theologisch ist das ein großes
Problem, denn der Stifter der Religion, Jesus von Nazareth, vollzog
zweifellos Exorzismus.
Die katholische Kirche kann kaum etwas verbieten, was Jesus
offensichtlich für richtig hielt. Im Evangelium (Lukas, Kapitel 8, Vers
27-31) heißt es: "Als Jesus an Land ging, lief ihm ein Mann aus
der Stadt entgegen, der von Dämonen besessen war. (. . .) Als er Jesus
sah, schrie er auf, fiel vor ihm nieder und rief laut: ,Ich bitte dich,
quäle mich nicht.' Jesus hatte dem unreinen Geist befohlen, den Mann zu
verlassen. (. . .) Jesus fragte ihn: ,Wie heißt du?' Er antwortete:
,Legion.' Denn er war von vielen Dämonen besessen. Und die Dämonen
baten Jesus, sie nicht zur Hölle zu schicken." Die Geschichte
endet in der Bibel damit, dass Jesus den Dämonen gestattet, in Schweine
zu fahren, die sich in einen See stürzen. Diese Praxis verbietet aber
Amorth jungen Exorzisten, denn in einem solchen Fall, einem tödlichen
Unfall, müssten die Exorzisten vor Gericht als Zeugen auftreten.
In einem Gutshaus in Umbrien hatte der römische Exorzist, der
mittlerweile verstorbene Pater Candido, 1971 in einem Bauernhaus bei
einem alten Mann einen Exorzismus vorgenommen und dem Geist befohlen, in
das Hausschwein zu fahren. Am Abend fütterte die Bäuerin das Schwein
wie immer. Das bisher unauffällige Tier tötete die Frau, und es kam zu
einem Prozess in Perugia.
Papst Johannes Paul II. duldet die Arbeit der Exorzisten, mehr aber auch
nicht. Das Anliegen der Exorzisten, einen Weltkongress im Vatikan zu
organisieren, lehnte er ab. Den Appellen zahlreicher Bischöfe, das
Exorzistenzentrum endlich zu schließen, gab er aber auch nicht nach.
"Es gibt den Teufel, er agiert manchmal hier auf dieser Welt",
sagte der Papst zu Don Amorth. Amorth bekommt aber nicht nur von Gläubigen
Unterstützung, sondern auch von Atheisten. Das Sprachwissenschaftliche
Institut der Universität Rom bestätigte Don Amorth 1998 einen
wissenschaftlich unerklärlichen Fall. Eine junge Bäuerin, die schlecht
Italienisch sprach, fluchte während eines Exorzismus stundenlang
grammatikalisch korrekt in acht Sprachen, darunter die nahezu
ausgestorbenen Sprache der Zeit Jesu Christi, die nur ein paar Dutzend
Menschen auf dem Globus beherrschen: Alt-Aramäisch. In dem Gutachten
heißt es: Es ist unerklärlich, wie die Frau diese Sprachen erlernen
konnte.
erschienen am 16. September 2004 im Hamburger Abendblatt, Aus aller
Welt
|