Prof. Dr. Felicitas D. Goodman
Anneliese Michel und ihre Dämonen
Der Fall Klingenberg in wissenschaftlicher Sicht
Von Univ. Prof. Dr. Ferdinand Holböck, Salzburg
Da ich ersucht wurde, zu dem vorliegenden Buch ein
Vorwort zu schreiben, fragte ich mich zuerst sehr ernst, ob es denn überhaupt
einen Sinn habe, den Fall der Anneliese Michel von Klingenberg durch ein aus dem
Amerikanischen übersetztes Buch gleichsam neu aufzurollen und wieder in das
Bewusstsein breiter Schichten zu heben.
Der amerikanische und der schweizerische Verleger
dieses Buches und ihre Berater waren der festen Überzeugung, dass dies sinnvoll
sei.
Ich stimme dem zu, aber nicht etwa deshalb, um nachträglich der im «Fall
Klingenberg» zuständig gewesenen kirchlichen Behörde, voran dem inzwischen nach
vielen Leiden verstorbenen Bischof Josef Stangl von Würzburg noch über ihr
Verhalten Vorwürfe zu machen. Auch nicht deshalb, um die in dem Gerichtsprozess
über den «Fall Klingenberg» spürbar gewordenen Schwächen und
Voreingenommenheiten aufzuzeigen.
Auch nicht deshalb, um eine nachträgliche
Verteidigung der beiden im «Fall Klingenberg» selbstlos engagierten und
exponierten Priester-Exorzisten Pfarrer Ernst Alt und Pater Arnold Renz, die
sicher frei sind von jeder moralischen Schuld, durchzuführen.
Wohl aber deshalb, um der deutschsprachigen
Öffentlichkeit zur Kenntnis zu bringen, dass in diesem wie in ähnlichen Fällen
eine andere Wirklichkeit spürbar geworden ist, für die die allermeisten
Mediziner, Juristen und Journalisten, wie sich gezeigt hat, weithin kein «Sensorium»
haben und ihr darum ablehnend gegenüberstehen, insofern sie diese Wirklichkeit
negieren und allzu rasch in den Bereich krankhafter Psychose verweisen.
Solcher «Verdrängung» gegenüber versucht die
deutschamerikanische Autorin des Buches in ihrer Art und von ihrem
anthropologischen Fachwissen her auf diese andere Wirklichkeit hinzuweisen.
Der katholische Theologe, der sich in
Übereinstimmung mit dem kirchlichen Lehramt weiß, tut dasselbe mit dem Hinweis auf die vor allem im Neuen Testament klar bezeugte
Wirklichkeit böse gewordener «Mächte und Gewalten», die auf den Menschen negativ
Einfluss nehmen, auch in der Art, wie sie mit dem Begriff «Besessenheit»
wiedergegeben wird.
Auffallend ist, dass Frau Dr. Goodman von ihrem
anthropologischen Fachwissen her der Möglichkeit und Tatsächlichkeit von
Besessenheitsfällen keineswegs negativ, sondern positiv gegenübersteht, auch im
«Fall Klingenberg». Woher sie dabei ihre Argumente holt, ist ungemein
aufschlussreich.
Für den katholischen, im Einklang mit dem,
kirchlichen Lehramt forschenden und lehrenden Theologen aber steht aus der Hl.
Schrift des Neuen Testamentes, aus der beständigen Lehre und Praxis der Kirche
herauf durch die Jahrhunderte klar fest, dass es gefallene personale Geistwesen,
den Teufel und Dämonen, gibt und dass es auch wirkliche Fälle von Besessenheit
nicht bloß zur Zeit Jesu Christi, sondern bis herauf in die Gegenwart gegeben
hat und gibt.
Dass heute modernistische Theologen der
gegenteiligen Meinung sind und den «Abschied vom Teufel» propagieren, ändert
nichts an der biblischen und kirchlichen Bezeugung der Existenz des Teufels und
der Dämonen und ihrer Einflussnahme auf den Menschen.
Prof. Dr. J. Ratzinger, der gegenwärtige
Kardinal-Erzbischof von München und Freising, hat damals, als H. Haags «Abschied
vom Teufel» erschienen war, geschrieben: «Die Vorstellung dämonischer Mächte
tritt zwar nur zögernd in das Alte Testament ein, erhält aber im Leben Jesu eine
unerhörte Wucht, die bei Paulus ohne Verminderung bestehen bleibt und sich bis
in die letzten Schriften des Neuen Testamentes, in die Gefangenschaftsbriefe und
ins Johannes-Evangelium hinein durchhält. Dieser Vorgang der Steigerung vom
Alten ins Neue Testament, der äußersten Kristallisierung des Dämonischen gerade
im Gegenüber zur Gestalt Jesu und der Beständigkeit des Themas im gesamten
neutestamentlichen Zeugnis ist von erheblicher Aussagekraft.»[1]
Jesus war ganz sicher von der Existenz des Teufels
und der Dämonen überzeugt. Der moderne Einwand, er habe sich in seinen
diesbezüglichen Äußerungen nur der damals herrschenden Meinung seiner
Zeitgenossen angepasst, gilt nicht. Denn der Glaube an die Existenz von Engeln
und Dämonen war damals gar nicht die allgemein herrschende Meinung wie die
gegensätzliche Einstellung der Sadduzäer und der Pharisäer klar zeigt. «Ohne den
Teufel jemals zum Mittelpunkt seiner Verkündigung zu machen, sprach Jesus von
ihm zwar nur in offensichtlich entscheidenden Augenblicken in wichtigen
Erklärungen.»1) Aber er hat bereits sein öffentliches Wirken damit
begonnen, dass er es auf sich nahm, vom Teufel in der Wüste versucht zu werden;
der Bericht darüber bei Mk 1,12f ist ebenso wie bei Mt 4, 1f und Lk 4, 1f gerade
wegen seiner Nüchternheit eindringlich. Den ersten seiner Apostel aber, Simon
Petrus, hat Jesus beim Letzten Abendmahl gewarnt: «Satan hat verlangt, euch
sieben zu dürfen wie den Weizen» (Lk 22,31).
Jesus hat nicht nur die Existenz des Teufels und
der Dämonen als Realität hingestellt, er hat sich auch Macht über sie
zugeschrieben und diese auch geoffenbart. Er hat ja nicht nur in den von ihm
bewirkten Krankenheilungen, sondern vor allem auch in den von ihm vorgenommenen
Dämonenaustreibungen ein besonders eindrucksvolles Mittel gesehen, seine
messianische Sendung unter Beweis zu stellen. Bezeichnend ist hier u.a. das in
seinem Kern sicher authentische Jesuswort: «Geht und sagt diesem Fuchs
(Herodes): Siehe, ich treib? Dämonen aus und vollbringe Heilungen heute und
morgen. . . » (Lk 13,32)
Wie Jesus sein eigenes Wirken u.a. auch als
Exorzistentätigkeit verstanden hat, so hat sich auch der von ihm seinen Jüngern
erteilte Auf trag besonders auf die Austreibung der Dämonen erstreckt (vgl. Mt
10,1; Mk 3,15; Lk 9,1).
Mit Recht hat man beim Gesamtüberblick über alle
entsprechenden Äußerungen der Hl. Schrift erklärt: «Noch viel weniger als im A T
kann im NT die Existenz des Teufels in Frage gestellt werden, so häufig wird er
dort genannt und so offenkundig tritt er in der Lehre und im Leben Jesu auf. Nie
und nirgends wird seine Existenz bestritten, sondern überall als gegeben in
Rechnung gestellt.»[2]
Man kann jedenfalls A. Winklhofer in seinem «
Traktat über den Teufel»[3]
auch heute noch zustimmen: «Es wäre angesichts des Gewichtes, das die Hl.
Schrift der Wahrheit und der Wirksamkeit des Teufels zuschreibt, eine
unchristliche Haltung und Einstellung im christlichen Lebenskampf, wollte man
mit dem Teufel nicht rechnen. Wie er für Jesus Christus in seinem Erdenleben
eine ständig präsente Wirklichkeit darstellte, so für uns eine ständig akute und
aktuell bedrohliche Gefahr. Und es wäre unrealistisch und undankbar gegenüber
Gott, der uns das Geheimnis der Bosheit enthüllt hat, wollten wir an diesem
dunklen Geheimnis vorbeileben, als ob wir davon auf verbürgte Weise nichts
wüssten.»
Die Behauptung aber, dass «an allen Stellen des
NT, an denen der Satan oder Teufel vorkommt, wir ebenso gut die Sünde oder das
Böse einsetzen könnten»[4],
ist völlig unbewiesen und unhaltbar, wie bereits vor Jahren H. Schlier in einer
gründlichen Untersuchung über «Mächte und Gewalten im Neuen Testament»[5]
aufgezeigt hat, der dabei zu dem Resultat kam: «Die vielfältigen Mächte, die
doch immer nur die eine satanische Macht entfalten, begegnen uns als eine Art
personalen Wesens von Macht»[6].
Ganz ähnlich schrieb K. Rahner: «Die Existenz außermenschlicher böser 'Mächte
und Gewalten' personaler Art in ihrer Wirksamkeit in der Welt ist eine
Glaubenswahrheit, weil sich das Gesamt der Aussagen des Neuen Testamentes über
den 'Teufel' ('Satan') und die 'Dämonen' (böse 'Mächte und Gewalten') bei
möglichen Zweifeln bezüglich mancher einzelner Stellen doch nicht einfach vom
Tisch fegen und entmythologisieren lässt.»[7]
Was konkret die Besessenheit von Menschen durch
Dämonen betrifft, so meint der gleiche K. Rahner: «Man wird die grundsätzliche
Möglichkeit diabolischer Besessenheit mindestens als theologisch sichere Lehre
qualifizieren müssen, wenn dabei auch zu beachten ist, dass der Begriff der
Besessenheit in seinem Unterschied von dämonischer Versuchung und sonstigem
realem Einfluss auf den Menschen nicht sehr deutlich, nur relativ ist und eine
große Variationsbreite hat.»[8]
Die Besessenheit wird dabei dann erklärt als eine «außergewöhnliche Wirkung der
außermenschlichen personalen 'Mächte und Gewalten' in der Form einer von außen
kommenden 'Belagerung' oder eines inneren In-Besitz-Nehmens, die im betreffenden Menschen Krankheiten, psychische Veränderungen,
etwa auch Raserei aggressiv blasphemischer Art verursachen, die Verfügungsgewalt
des betreffenden Menschen über die eigene Tätigkeit einschränken, ohne jedoch
sein Personsein aufzulösen. Angesichts der auffallenden Analogien zwischen der
Besessenheit und den Phänomenen, die man in psychiatrischen Kliniken beobachten
kann, ist freilich für die Annahme von Besessenheit äußerste Zurückhaltung
geboten.»[9]
Es besteht ja zweifellos auffallende Ähnlichkeit
zwischen einem Besessenen und einem Geisteskranken: Beide toben, beide leiden an
Bewusstseinsspaltung und hören Stimmen, so dass sie behaupten, neben dem eigenen
Ich sei noch eine zweite Person in ihnen. Bei den Besessenen ist dies wirklich
der Fall; in ihnen wohnt ja der Dämon, er spricht aus ihnen und zeigt seine
Gewalttätigkeit. Bei Geisteskranken aber ist es Täuschung, doch kann diese für
sie und für Außenstehende so irreführend sein, dass sie selbst und andere an
Besessenheit glauben, besonders wenn entsprechende Manifestationen damit
verbunden sind. Trotzdem besteht hier ein großer Unterschied und Besessenheit
kann doch von Geisteskrankheit unterschieden werden: Der Besessene ohne
pathologischen Einschlag ist in krisenfreien Zeiten auf allen Gebieten
vollständig normal, während sich beim Geisteskranken immer wieder seine
Bruchstelle zeigt. Der wesentliche Unterschied liegt aber in der Ursache der
äußeren Erscheinungen: Bei Geisteskranken findet sie sich in der krankhaften
Anlage des Menschen; bei den Besessenen aber in der Gegenwart des Dämons in
ihnen und in der Macht, die dieser über sie ausüben darf.[10]
Er tut es meist ganz unerwartet. Dann spricht und handelt nicht mehr der seiner
Freiheit beraubte besessene Mensch, sondern nur mehr der Dämon, der nun die
Zunge und den Körper des Besessenen für seine Zwecke gebraucht. Der Besessene
kann sich dagegen nicht wehren.
«Ein gewichtiges Merkmal, ob es sich um
Besessenheit handelt oder nicht, ist u.a. durch das entgegengesetzte
religiössittliche Verhalten eines sonst einwandfrei gesunden, nüchternen,
gewissenhaften Menschen gegeben. Wenn dieser zeitweise Reden führt und
Handlungen vollbringt, die in krassem Widerspruch zu seiner ganz anderen
Gesinnung stehen, so spricht das sehr stark für Besessenheit. Voraussetzung ist
freilich, dass weder eine Verletzung des Gehirns noch funktionelle Störungen
seiner Tätigkeit vorliegen.»[11]
Lag bei Anneliese Michel Besessenheit vor? Die
Darlegungen des vorliegenden Buches mit den ausführlichen Schilderungen der
Person und ihrer Umgebung, der medizinischen und exorzistischen Behandlung, die
dem jungen Menschen zuteil wurde, sind jedenfalls sehr hilfreich, um zur
richtigen Antwort auf die gestellte Frage zu kommen. Auf jeden Fall ist das, was
dieser junge, religiöse und sittlich saubere Mensch, aber auch ihre Angehörigen
zu leiden hatten, so erschütternd, dass man nicht bloß an die unheilvolle
Tätigkeit des «Menschenmörders von Anfang an» (Joh 8,44) erinnert wird, sondern
konkret auch an jenen Besessenheitsfall, der uns bei M k 9,17-29 in folgender
Weise geschildert wird:
«Da richtete einer aus der Volksmenge das Wort an
Jesus: 'Meister, ich habe meinen Sohn zu Dir gebracht, der von einem stummen
Geist besessen ist. Er packt ihn bald da, bald dort, und zerrt ihn hin und her;
dabei kommt ihm der Schaum vor den Mund, er knirscht mit den Zähnen und liegt in
Erstarrung. Nun sagte ich Deinen Jüngern, sie möchten ihn von seinem Geist
befreien, aber sie vermochten es nicht.'
Da gab Er zur Antwort: 'O glaubensloses
Geschlecht! Wie lange noch soll ich bei euch sein, wie lange noch euch ertragen?
Bringt ihn zu Mir!' Sie brachten ihn zu Ihm. Und sobald Er ihn sah, schüttelte
ihn der Geist; er stürzte zu Boden und wälzte sich schäumend.
Da fragte Er dessen Vater: 'Wie lange ist es schon
her, dass ihm das widerfährt?' 'Von Kindheit an', erwiderte er, 'und öfters hat
er ihn gar ins Feuer und ins Wasser geworfen, um ihn umzubringen. Wenn Du also
etwas vermagst, erbarme Dich unser und hilf uns!'
Jesus erwiderte ihm: 'Wenn Du etwas vermagst?
Alles ist möglich dem, der glaubt!'
Da schluchzte der Vater des Knaben laut auf und
sagte: 'Ich glaube — hilf meinem
Unglauben!'
Als Jesus sah, dass immer mehr Volk zusammenlief,
sprach Er mit erhobener Stimme zum unreinen Geist: 'Du stummer, tauber Geist,
ich befehle dir: fahre aus ihm aus und kehre nie wieder in ihn zurück!'
Da schrie er auf, und unter heftigen Zuckungen
fuhr er aus. Der Knabe lag wie tot, so dass die meisten meinten, er sei
gestorben. Jesus aber fasste ihn bei der Hand und half ihm auf; und er stand
auf.
Als Er nach Hause gekommen war, fragten Ihn seine
Jünger für sich allein: 'Warum konnten wir ihn nicht austreiben?' Er gab ihnen
zur Antwort: 'Diese Art kann nur durch Gebet und Fasten ausgetrieben werden.'»
Ob man nicht im Lichte dieses biblischen Berichtes
die folgenden Ausführungen lesen sollte?
Ferdinand Holböck
[1] vgl. J. Ratzinger, Dogma und Verkündigung (München 1973) S. 229
[2] vgl. D. Zähringer OSB, in: Mysterium salutis, 2. Bd. (Einsiedeln 1967) S. 996ff.
[3] vgl. A. Winklhofer, Traktat über den Teufel (Frankfurt 1961) S. 9f.
[4] vgl. H. Haag, Abschied vom Teufel (Einsiedeln 1969) S. 46; ders , Teufelsglaube S. 191.
[5] H. Schlier, Mächte und Gewalten (Freiburg 1958)
[6] H. Schlier, a.a.O.S. 63
[7] vgl. K. Rahner: Besessenheit, Theol. Aspekte, in: Lexikon f. Theologie u Kirche, 2. Bd., (Freiburg 1958) Sp. 298-299.
[8] vgl. K. Rahner, a.a.O.Sp. 299.
[9] W. Truhlar SJ, in: W. Wittler, Gibt es Teufel und eine Teufelsaustreibung? (Osnabrück 1976)
[10] vgl. B. Günther OCD, Satan, der Widersacher Gottes (Aschaffenburg 1972) S. 127f.
[11] vgl. B. Günther OCD, a.a.O.S. 120. 12
Auszug aus dem Buch:
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Anneliese Michel und ihre Dämonen
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