Liebe Mitbrüder!
Liebe Schwestern und Brüder!
Eine Ausstellungseröffnung zu einem besonderen
Thema! Dazu aus religiös-theologischer Sicht etwas zu sagen - es ist
nicht ganz einfach!
"Abschied vom Teufel" hieß 1969 der Titel eines
bekannten Buches, 1983 erschien dann ein Buch mit dem Titel "Des
Teufels Wiederkehr" - Grund genug, den Bösen und das Böse, auch
aufgrund verschiedener gesellschaftlicher Phänomene und der
Behandlung etwa in Film und Literatur, zum Thema zu machen.
Das Böse ist eine unbestreitbare Tatsache in
unserer Welt. Tagtäglich wird seine Wirklichkeit uns vor Augen
geführt. Ob irgendwo ein Flugzeug entführt und unschuldige Menschen
als Geiseln erschossen werden oder hier bei uns eine alte Frau wegen
ein paar Euro an erspartem Geld erschlagen wird, ob wir an
Auschwitz, an Hiroshima oder an die sibirischen Straflager denken:
Überall da taten und tun Menschen einander Böses an, fügen sie
einander unsägliches Leid zu. Solches Leid entsteht auch auf andere
Weise. Ich erinnere an die Tsunami-Katastrophe, Erdbeben und
Naturkatastrophen verschiedenster Art vernichten große Städte mit
Tausenden von Bewohnern, zerstören das Werk von Menschenhand und
machen ganze Landstriche unbewohnbar; aber wir können die Gewalten
der Natur nicht eigentlich böse nennen. Ebenso wenig trifft diese
Charakteristik auf Tiere zu, die andere Tiere oder auch Menschen
anfallen und töten. Mit dem Gedanken des Bösen verbinden wir ein
willentliches Moment, eine Spontaneität, die der Naturgewalt und dem
Tier offensichtlich abgeht. Deswegen unterscheidet die Philosophie
seit Leibniz zwischen dem physischen Bösen, dem Übel, den Folgen
einer Naturkatastrophe etwa, und dem moralischen Bösen, dem Bösen im
eigentlichen Sinne; dieses kommt nur einem Wesen zu, das bewusst und
willentlich handeln kann, das somit Schuld auf sich laden kann.
Letztlich gibt es wohl nur drei Grundmodelle
für eine Ursprungsdeutung des Bösen: Der Dualismus: Das Böse ist von
Uranfang an ein mit Gott gleichursprüngliches, wenn freilich nicht
immer gleichrangiges Prinzip, das zumeist mit ihm im Streit liegt.
Dieses Modell scheidet für den christlichen Glauben als
Erklärungsmöglichkeit aus. Formen des Monismus: Der eine Urgrund der
Welt ist auch der verantwortliche Ursprung des Bösen. Gott will
wenigstens so das Böse, dass es seinen Zielen dient. Ein solches
Modell, das in sehr reflektierten Gestalten auftreten kann, ist für
den christlichen Glauben ebenso unannehmbar, weil letztlich der
Unterschied von Gut und Böse relativiert wird.
Ursprung aus freier Entscheidung des endlichen Geistes: Das
ethisch-moralische Übel, welches in der Entscheidung des Willens
gegen das sittlich Gute beruht, kann nur aus der freien Wahl
geistig-personaler Wesen verstanden werden. Dies ist die Deutung des
christlichen Glaubens.
Man kann vom Bösen sprechen, das der einzelne
Mensch in der Sünde verwirklicht und als Schuld erfährt, sowie von
dem Bösen, das er als seiner eigenen Freiheitstat vorausliegend
wahrnimmt. Es drängt sich aber eine weitere Fragen auf: Sind damit
die Möglichkeiten des Bösen erschöpft?
Viele werden ohne Umschweife antworten, nach
all dem Schlimmen, was Menschen bisher und gerade in unserem
Jahrhundert einander angetan haben, bestehe gar kein Bedarf
weiterzufragen, ob es auch darüber hinaus noch Böses gäbe. Wenn die
Bibel und damit auch Jesus vom Teufel sprechen - und das geschieht
doch relativ häufig - dann übernähmen sie den Sprachgebrauch ihrer
Zeit, den es heute zu entmythologisieren gelte. Daran ist sicher
manches richtig. Wir tun uns heute schwer, vom Bösen als von einer
Person zu sprechen. Viele sehen darin höchstens eine anonyme Macht,
die als eine Ansammlung von vielen menschlichen
Einzelentscheidungen zusammengewachsen ist und weiter wächst.
Außerdem erscheint gerade der Personbegriff, mit dem man die
einzigartige Würde des Menschen als Freiheitswesen zu fassen
versucht, ungeeignet, die destruktive Macht des Bösen zu
beschreiben. Das Böse erscheint geradezu als die Un-Person.
Wenn aber die Heilige Schrift und die
kirchliche Tradition, bei aller zeitgebundenen Ausdrucksweise,
durchgehend von einem "personalen" Bösen sprechen, dann sollte diese
Tatsache zu denken geben. Das kirchliche Lehramt hat mehrfach zur
"Personalität" des Teufels Stellung genommen. Papst Paul VI. sagte
am 15. November 1972: "Das Böse ist nicht mehr nur ein Mangel,
sondern es ist eine wirkende Macht, ein lebendiges geistiges Wesen,
verderbt und verderbend, eine schreckliche Realität, geheimnisvoll
und beängstigend." Das Dokument "Christlicher Glaube und Dämonologie",
eine von einem Experten im Auftrag der Kongregation für die
Glaubenslehre erstellte und am 26. Juni 1975 veröffentlichte Studie,
liegt auf derselben Linie und ruft eben diese Sätze nochmals in
Erinnerung.
Gerade vom christlichen Glauben her kann man
realistisch an diese Frage herangehen. Denn man braucht nicht die
Angst zu haben, vor ein übermächtiges Böses zu gelangen, das Gott
überlegen wäre. In der biblischen und christlichen Tradition
erscheint der Teufel als eine Gott untergeordnete, gleichwohl
äußerst gefährliche Macht, die von Jesus Christus überwunden ist,
freilich noch, bis zum Ende der Weltzeit, ihr Unwesen treiben kann.
Von dieser Warte aus kann die Frage gestellt werden, ob mit der
menschlichen Sünde und Sündigkeit die Möglichkeiten des Bösen als
ausgeschöpft betrachtet werden müssen.
Der Mensch in seiner leib-geistigen Struktur
bedarf zum Guten wie zum Bösen des Anstoßes von außen, sicher nicht
zu jeder einzelnen Tat, aber grundsätzlich. Ist es nicht denkbar,
dass es in der Ordnung des Geschaffenen Wesen gibt, die als reine
Geister (Engel) durch ihre spontane Freiheitstat ein für allemal
entschieden und bleibend bestimmt sind? Ähnlich wie der Mensch im
Tod endgültig festgelegt ist, so würde dies für jene Wesen in ihrer
ersten Entscheidung geschehen sein. Das böse Tun des Menschen hat
mit Versuchtwerden und Nachgeben zu tun. Ist dann nicht ein
Versucher denkbar, der den versuchbaren Menschen blendet und von
Gott weg zu sich zu ziehen trachtet; der sich als Gegengott
etabliert und dem Menschen das "Wie-Gott-sein-Wollen" einredet?
In der biblischen Erzählung vom Sündenfall (Gen
3) tritt solch ein versucherisches Wesen (im mythologisch so
beziehungsreichen Bild der Schlange) auf. Im Neuen Testament wird
der Teufel als Versucher geschildert: Er fordert Jesus in der
Einsamkeit der Wüste heraus (vgl. Mk 1,12f; Mt 4,1-11; Lk4,1-13) und
versucht auch die Gläubigen (vgl. 1 Kor 7,5; 1 Thess 3,5). "Der
Teufel nämlich und die anderen bösen Dämonen", so lehrt das IV.
Laterankonzil (1215) gegen mittelalterliche Irrlehrer, die die
Ebenbürtigkeit Gottes und des Bösen behaupten, "wurden zwar von Gott
ihrer Natur nach gut geschaffen, sie wurden aber selbst durch sich
böse. Der Mensch aber sündigte aufgrund der Eingebung des Teufels" (DH
800). Diese Aussagen entlasten den Menschen von der
Letztverantwortung für das Böse in der Welt, nehmen ihm aber nichts
von seiner Eigenverantwortung. Denn, auch wenn er verführt wird,
entspringen seine bösen Taten immer aus seinem Nachgeben, aus seiner
freien Zustimmung. Sündigen kann nur der jeweils einzelne, auch wenn
es eine Verflochtenheit und eine "Solidarität" in der Sünde gibt,
welche die Freiheit des einzelnen beeinträchtigt und begrenzt.
Der Teufel, den das Johannesevangelium als
"Mörder von Anfang an" und als "Vater der Lüge" bezeichnet (Joh
8,44), handelt nicht nur böse, er ist böse aufgrund seiner freien
Entscheidung, anders und unvergleichlich intensiver als ein Mensch
je sein kann. Sein Wesen besteht darin, nie Sättigung im
Zerstörungswerk erreichen zu können. Das Wirken des Teufels zu
beschreiben, fällt schwer. Er tritt ohne Gesicht auf - deshalb die
vielen "phantasievollen" Darstellungen. Denn es gehört zum Wesen der
Macht der Finsternis, dass sie sich nicht offenbart, obschon sie sich
manifestiert. Zu ihrem Wesen gehören das Verborgenseinwollen und der
Widerstand gegen das Offenbarwerden. Dieser Wesenszug ist der
objektive Grund, warum es eine klare Lehre vom Satan gar nicht geben
kann. Die Rede vom Bösen ist nur indirekt möglich. Da das Böse/der
Böse das in sich Absurde, Widersprüchliche und Unsinnige ist, kann
es in keine systematische Ordnung gebracht werden. Der Böse entzieht
sich aller Definition, weil er sich aller Offenbarwerdung entzieht.
Er kann nur im Dunkeln seine Macht entfalten. Er liebt und versteht
die Kunst der Verkleidung. Er wirkt auf eine unpersönliche, ja auf
eine geradezu personauflösende Weise und macht sich gerade dadurch
in seiner eigenen Personheit ungreifbar. Er liebt es, den Menschen
in Masse zu verwandeln. Er liebt die Besinnungslosigkeit der
Menschen und hasst es, wenn die Menschen zur Besinnung kommen. Er
liebt die Stummheit und hasst die Rede, denn die Rede ist das
bevorzugte Mittel der Personoffenbarung. Verschlossenheit gehört zu
allen Phänomenen des Dämonisch-Satanischen.
Die Vorstellung vom Teufel ließ den Menschen zu
allen Zeiten zwei Möglichkeiten: entweder man entsetzte sich über
seine Macht oder man lachte über seine Ohnmacht. Wie man den
Widersacher und das Böse deshalb einerseits in Gestalt grauenhafter
Monster Furcht und Gebrechen verbreiten ließ, so hat man den Bösen
andererseits auch gerne in die Komödie verwiesen und sich so von der
allgegenwärtigen Last und Drohung des Bösen Erleichterung zu
verschaffen gesucht.
Was das Wesen und Wirken des Teufels so schwer
fassbar macht, ist die Tatsache, dass er als "Engel des Lichts" (2 Kor
11,14) auftreten und die Menschen faszinieren kann. Entsprechend der
Überlegung, dass nur der reine Geist zur spontanen Sünde fähig ist,
wird man sagen können, dass das Satanische nicht das Abstoßend-Böse,
sondern das magisch Anziehend-Böse ist. Zuallererst ist das Böse
erfahrbar und greifbar im eigenen Tun, in der Sünde. Aber es wird
auch erfahren als Vorgegebenheit und als Macht, die über die
persönlichen Verfehlungen hinausgeht.
Die Wirklichkeit des Bösen, die sich der
Erfahrung so sehr aufdrängt, bleibt im letzten eigentümlich
verschlossen. Die Heilige Schrift spricht mit Recht vom "Geheimnis
der Bosheit" (2 Thess 2,7); die Einheitsübersetzung spricht von der
"geheimen Macht der Gesetzwidrigkeit." Das Böse als das eigentlich
Nicht-sein-Sollende ist das zutiefst Unlogische, das sich einer
rationalen Aufhellung widersetzt. Die Fähigkeit zum Bösen, die
Fehlbarkeit des Menschen ist die Kehrseite seiner kreatürlichen
Freiheit und Würde. Freilich muss jeder Determinismus abgelehnt
werden. Das Böse geschieht nicht zwangsläufig. Es wird erst
"verwirklicht" durch die Tat der Freiheit. Der schuldlos Schuldige
der griechischen Tragödie ist eine ungenügende Antwort auf das
Rätsel des Bösen. Der Mensch ist verantwortlich für das Böse, das er
tut. Er ist aufgerufen, es zu meiden und dagegen zu kämpfen. Für den
Christen ist das Böse nicht eine Übermacht, der selbst Gott
unterworfen ist, wie in manchen archaischen Gottesvorstellungen,
sondern eine Macht dieser Weltzeit, die von Jesus Christus schon
bezwungen ist. Wie es der Sprachgebrauch bei der Taufliturgie zeigt,
kann man an den Teufel nicht "glauben", dem Teufel kann man nur
widersagen.
Dem Bösen gegenüber gilt es, "nüchtern und
wachsam" (1 Petr 5,8) zu sein. Dazu gehört, es weder zu verharmlosen
noch zu verselbständigen und übertreibend zu dämonisieren. Der
Christ darf am wenigsten naiv und ahnungslos sein. Der nüchterne
Blick auf die im Menschen liegenden Möglichkeiten zum Bösen wie auch
auf die versucherischen Kräfte außer ihm lässt die Wirklichkeit des
Bösen realistisch einschätzen. Das bloße Wissen um diese Gefährdung
des Menschen allein genügt allerdings nicht. Zur Überwindung des
Bösen in uns und in unserer Welt führt vor allem die entschiedene
Ausrichtung auf den liebenden und guten Gott im Gebet. Er hilft, das
Böse zu erkennen, es zu meiden und zu überwinden. Er reicht aber
auch, wie im Gleichnis vom barmherzigen Vater (Lk 15,11-32) zu sehen
ist, immer wieder seine Hand zu einem Neubeginn, wenn einer der
Versuchung unterlegen ist.
Das Böse lässt sich nicht einordnen in ein
geschlossenes System, es fällt immer aus der Reihe. Seine
Wirklichkeit bleibt eine Herausforderung an das Denken und an den
Glauben. Wenn wir damit an ein Ende gekommen zu sein meinen, bricht
wieder eine neue Frage auf, und alles wird erneut zum Rätsel. Gott
hat uns keine theoretische Antwort auf die Frage nach unserer Sünde
und Schuld gegeben, sondern sie beantwortet mit der Hingabe seines
Sohnes. Jesus Christus hat die Herausforderungen des menschlichen
Daseins, auch die der Versuchung, durchlebt und durchlitten, aber er
hat sich nicht blenden lassen und nicht nachgegeben. Das macht seine
Glaubwürdigkeit aus. "Da er selbst in Versuchung geführt wurde und
gelitten hat, kann er denen helfen, die in Versuchung geführt
werden" (Hebr 2,18). "Obwohl er der Sohn war, hat er durch Leiden
den Gehorsam gelernt; zur Vollendung gelangt, ist er für alle, die
ihm gehorchen, der Urheber des ewigen Heils geworden" (Hebr 5,8f).
Er hat das Böse getragen und dessen ganze Wucht
auf sich gezogen, aber er hat dem Menschen nicht die Möglichkeit zur
Auflehnung, zur Sünde genommen. Der Mensch bleibt auch nach der
Erlösungstat Jesu Christi gefährdet, dem Bösen ausgesetzt. Dieser
Wirklichkeit entspricht das Gebet Jesu: "Ich bitte nicht, dass du sie
aus der Welt nimmst, sondern dass du sie vor dem Bösen bewahrst" (Joh
17,15). Wir machen diese Bitte zu unserer eigenen, wenn wir im Gebet
des Herrn sprechen: "Und führe uns nicht in Versuchung, sondern
erlöse uns von dem Bösen" (vgl. Mt 6,13). Amen.
Foto: (c) Bistum Fulda
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