Die Wirksamkeit des Bösen 










 
Die Heilige Schrift und die kirchliche Tradition sprechen durchgehend von einem "personalen" Bösen

Aus einer Ansprache von Weihbischof Karlheinz Diez (Fulda) anlässlich der Ausstellungseröffnung "TIERE-DÄMONEN-TEUFEL in St. Elisabeth / Kassel

 

Liebe Mitbrüder!
Liebe Schwestern und Brüder!

Eine Ausstellungseröffnung zu einem besonderen Thema! Dazu aus religiös-theologischer Sicht etwas zu sagen - es ist nicht ganz einfach!

"Abschied vom Teufel" hieß 1969 der Titel eines bekannten Buches, 1983 erschien dann ein Buch mit dem Titel "Des Teufels Wiederkehr" - Grund genug, den Bösen und das Böse, auch aufgrund verschiedener gesellschaftlicher Phänomene und der Behandlung etwa in Film und Literatur, zum Thema zu machen.

Das Böse ist eine unbestreitbare Tatsache in unserer Welt. Tagtäglich wird seine Wirklichkeit uns vor Augen geführt. Ob irgendwo ein Flugzeug entführt und unschuldige Menschen als Geiseln erschossen werden oder hier bei uns eine alte Frau wegen ein paar Euro an erspartem Geld erschlagen wird, ob wir an Auschwitz, an Hiroshima oder an die sibirischen Straflager denken: Überall da taten und tun Menschen einander Böses an, fügen sie einander unsägliches Leid zu. Solches Leid entsteht auch auf andere Weise. Ich erinnere an die Tsunami-Katastrophe, Erdbeben und Naturkatastrophen verschiedenster Art vernichten große Städte mit Tausenden von Bewohnern, zerstören das Werk von Menschenhand und machen ganze Landstriche unbewohnbar; aber wir können die Gewalten der Natur nicht eigentlich böse nennen. Ebenso wenig trifft diese Charakteristik auf Tiere zu, die andere Tiere oder auch Menschen anfallen und töten. Mit dem Gedanken des Bösen verbinden wir ein willentliches Moment, eine Spontaneität, die der Naturgewalt und dem Tier offensichtlich abgeht. Deswegen unterscheidet die Philosophie seit Leibniz zwischen dem physischen Bösen, dem Übel, den Folgen einer Naturkatastrophe etwa, und dem moralischen Bösen, dem Bösen im eigentlichen Sinne; dieses kommt nur einem Wesen zu, das bewusst und willentlich handeln kann, das somit Schuld auf sich laden kann.

Letztlich gibt es wohl nur drei Grundmodelle für eine Ursprungsdeutung des Bösen: Der Dualismus: Das Böse ist von Uranfang an ein mit Gott gleichursprüngliches, wenn freilich nicht immer gleichrangiges Prinzip, das zumeist mit ihm im Streit liegt. Dieses Modell scheidet für den christlichen Glauben als Erklärungsmöglichkeit aus. Formen des Monismus: Der eine Urgrund der Welt ist auch der verantwortliche Ursprung des Bösen. Gott will wenigstens so das Böse, dass es seinen Zielen dient. Ein solches Modell, das in sehr reflektierten Gestalten auftreten kann, ist für den christlichen Glauben ebenso unannehmbar, weil letztlich der Unterschied von Gut und Böse relativiert wird.
Ursprung aus freier Entscheidung des endlichen Geistes: Das ethisch-moralische Übel, welches in der Entscheidung des Willens gegen das sittlich Gute beruht, kann nur aus der freien Wahl geistig-personaler Wesen verstanden werden. Dies ist die Deutung des christlichen Glaubens.

Man kann vom Bösen sprechen, das der einzelne Mensch in der Sünde verwirklicht und als Schuld erfährt, sowie von dem Bösen, das er als seiner eigenen Freiheitstat vorausliegend wahrnimmt. Es drängt sich aber eine weitere Fragen auf: Sind damit die Möglichkeiten des Bösen erschöpft?

Viele werden ohne Umschweife antworten, nach all dem Schlimmen, was Menschen bisher und gerade in unserem Jahrhundert einander angetan haben, bestehe gar kein Bedarf weiterzufragen, ob es auch darüber hinaus noch Böses gäbe. Wenn die Bibel und damit auch Jesus vom Teufel sprechen - und das geschieht doch relativ häufig - dann übernähmen sie den Sprachgebrauch ihrer Zeit, den es heute zu entmythologisieren gelte. Daran ist sicher manches richtig. Wir tun uns heute schwer, vom Bösen als von einer Person zu sprechen. Viele sehen darin höchstens eine anonyme Macht, die als eine Ansammlung von vielen menschlichen Einzelent­scheidungen zusammengewachsen ist und weiter wächst. Außerdem erscheint gerade der Personbegriff, mit dem man die einzigartige Würde des Menschen als Freiheitswesen zu fassen versucht, ungeeignet, die destruktive Macht des Bösen zu beschreiben. Das Böse erscheint geradezu als die Un-Person.

Wenn aber die Heilige Schrift und die kirchliche Tradition, bei aller zeitgebundenen Ausdrucksweise, durchgehend von einem "personalen" Bösen sprechen, dann sollte diese Tatsache zu denken geben. Das kirchliche Lehramt hat mehrfach zur "Personalität" des Teufels Stellung genommen. Papst Paul VI. sagte am 15. November 1972: "Das Böse ist nicht mehr nur ein Mangel, sondern es ist eine wirkende Macht, ein lebendiges geistiges Wesen, verderbt und verderbend, eine schreckliche Realität, geheimnisvoll und beängstigend." Das Dokument "Christlicher Glaube und Dämonologie", eine von einem Experten im Auftrag der Kongregation für die Glaubenslehre erstellte und am 26. Juni 1975 veröffentlichte Studie, liegt auf derselben Linie und ruft eben diese Sätze nochmals in Erinnerung.

Gerade vom christlichen Glauben her kann man realistisch an diese Frage heran­gehen. Denn man braucht nicht die Angst zu haben, vor ein übermächtiges Böses zu gelangen, das Gott überlegen wäre. In der biblischen und christlichen Tradition erscheint der Teufel als eine Gott untergeordnete, gleichwohl äußerst gefährliche Macht, die von Jesus Christus überwunden ist, freilich noch, bis zum Ende der Weltzeit, ihr Unwesen treiben kann. Von dieser Warte aus kann die Frage gestellt werden, ob mit der menschlichen Sünde und Sündigkeit die Möglichkeiten des Bösen als ausgeschöpft betrachtet werden müssen.

Der Mensch in seiner leib-geistigen Struktur bedarf zum Guten wie zum Bösen des Anstoßes von außen, sicher nicht zu jeder einzelnen Tat, aber grundsätzlich. Ist es nicht denkbar, dass es in der Ordnung des Geschaffenen Wesen gibt, die als reine Geister (Engel) durch ihre spontane Freiheitstat ein für allemal entschieden und bleibend bestimmt sind? Ähnlich wie der Mensch im Tod endgültig festgelegt ist, so würde dies für jene Wesen in ihrer ersten Entscheidung geschehen sein. Das böse Tun des Menschen hat mit Versuchtwerden und Nachgeben zu tun. Ist dann nicht ein Versucher denkbar, der den versuchbaren Menschen blendet und von Gott weg zu sich zu ziehen trachtet; der sich als Gegengott etabliert und dem Menschen das "Wie-Gott-sein-Wollen" einredet?

In der biblischen Erzählung vom Sündenfall (Gen 3) tritt solch ein versucherisches Wesen (im mythologisch so beziehungsreichen Bild der Schlange) auf. Im Neuen Testament wird der Teufel als Versucher geschildert: Er fordert Jesus in der Einsamkeit der Wüste heraus (vgl. Mk 1,12f; Mt 4,1-11; Lk4,1-13) und versucht auch die Gläubigen (vgl. 1 Kor 7,5; 1 Thess 3,5). "Der Teufel nämlich und die anderen bösen Dämonen", so lehrt das IV. Laterankonzil (1215) gegen mittelalterliche Irrlehrer, die die Ebenbürtigkeit Gottes und des Bösen behaupten, "wurden zwar von Gott ihrer Natur nach gut geschaffen, sie wurden aber selbst durch sich böse. Der Mensch aber sündigte aufgrund der Eingebung des Teufels" (DH 800). Diese Aussagen entlasten den Menschen von der Letztverantwortung für das Böse in der Welt, nehmen ihm aber nichts von seiner Eigenverantwortung. Denn, auch wenn er verführt wird, entspringen seine bösen Taten immer aus seinem Nachgeben, aus seiner freien Zustimmung. Sündigen kann nur der jeweils einzelne, auch wenn es eine Verflochtenheit und eine "Solidarität" in der Sünde gibt, welche die Freiheit des einzelnen beeinträchtigt und begrenzt.

Der Teufel, den das Johannesevangelium als "Mörder von Anfang an" und als "Vater der Lüge" bezeichnet (Joh 8,44), handelt nicht nur böse, er ist böse aufgrund seiner freien Entscheidung, anders und unvergleichlich intensiver als ein Mensch je sein kann. Sein Wesen besteht darin, nie Sättigung im Zerstörungswerk erreichen zu können. Das Wirken des Teufels zu beschreiben, fällt schwer. Er tritt ohne Gesicht auf - deshalb die vielen "phantasievollen" Darstellungen. Denn es gehört zum Wesen der Macht der Finsternis, dass sie sich nicht offenbart, obschon sie sich manifestiert. Zu ihrem Wesen gehören das Verborgenseinwollen und der Widerstand gegen das Offenbarwerden. Dieser Wesenszug ist der objektive Grund, warum es eine klare Lehre vom Satan gar nicht geben kann. Die Rede vom Bösen ist nur indirekt möglich. Da das Böse/der Böse das in sich Absurde, Widersprüchliche und Unsinnige ist, kann es in keine systematische Ordnung gebracht werden. Der Böse entzieht sich aller Definition, weil er sich aller Offenbarwerdung entzieht. Er kann nur im Dunkeln seine Macht entfalten. Er liebt und versteht die Kunst der Verkleidung. Er wirkt auf eine unpersönliche, ja auf eine geradezu personauflösende Weise und macht sich gerade dadurch in seiner eigenen Personheit ungreifbar. Er liebt es, den Menschen in Masse zu verwandeln. Er liebt die Besinnungslosigkeit der Menschen und hasst es, wenn die Menschen zur Besinnung kommen. Er liebt die Stummheit und hasst die Rede, denn die Rede ist das bevorzugte Mittel der Personoffenbarung. Verschlossenheit gehört zu allen Phänomenen des Dämonisch-Satanischen.

Die Vorstellung vom Teufel ließ den Menschen zu allen Zeiten zwei Möglichkeiten: entweder man entsetzte sich über seine Macht oder man lachte über seine Ohnmacht. Wie man den Widersacher und das Böse deshalb einerseits in Gestalt grauenhafter Monster Furcht und Gebrechen verbreiten ließ, so hat man den Bösen andererseits auch gerne in die Komödie verwiesen und sich so von der allgegenwärtigen Last und Drohung des Bösen Erleichterung zu verschaffen gesucht.

Was das Wesen und Wirken des Teufels so schwer fassbar macht, ist die Tatsache, dass er als "Engel des Lichts" (2 Kor 11,14) auftreten und die Menschen faszinieren kann. Entsprechend der Überlegung, dass nur der reine Geist zur spontanen Sünde fähig ist, wird man sagen können, dass das Satanische nicht das Abstoßend-Böse, sondern das magisch Anziehend-Böse ist. Zuallererst ist das Böse erfahrbar und greifbar im eigenen Tun, in der Sünde. Aber es wird auch erfahren als Vorgegebenheit und als Macht, die über die persönlichen Verfehlungen hinausgeht.

Die Wirklichkeit des Bösen, die sich der Erfahrung so sehr aufdrängt, bleibt im letzten eigentümlich verschlossen. Die Heilige Schrift spricht mit Recht vom "Geheimnis der Bosheit" (2 Thess 2,7); die Einheitsübersetzung spricht von der "geheimen Macht der Gesetzwidrigkeit." Das Böse als das eigentlich Nicht-sein-Sollende ist das zutiefst Unlogische, das sich einer rationalen Aufhellung widersetzt. Die Fähigkeit zum Bösen, die Fehlbarkeit des Menschen ist die Kehrseite seiner kreatürlichen Freiheit und Würde. Freilich muss jeder Determinismus abgelehnt werden. Das Böse geschieht nicht zwangsläufig. Es wird erst "verwirklicht" durch die Tat der Freiheit. Der schuldlos Schuldige der griechischen Tragödie ist eine ungenügende Antwort auf das Rätsel des Bösen. Der Mensch ist verantwortlich für das Böse, das er tut. Er ist aufgerufen, es zu meiden und dagegen zu kämpfen. Für den Christen ist das Böse nicht eine Übermacht, der selbst Gott unterworfen ist, wie in manchen archaischen Gottesvorstellungen, sondern eine Macht dieser Weltzeit, die von Jesus Christus schon bezwungen ist. Wie es der Sprachgebrauch bei der Taufliturgie zeigt, kann man an den Teufel nicht "glauben", dem Teufel kann man nur widersagen.

Dem Bösen gegenüber gilt es, "nüchtern und wachsam" (1 Petr 5,8) zu sein. Dazu gehört, es weder zu verharmlosen noch zu verselbständigen und übertreibend zu dämonisieren. Der Christ darf am wenigsten naiv und ahnungslos sein. Der nüchterne Blick auf die im Menschen liegenden Möglichkeiten zum Bösen wie auch auf die versucherischen Kräfte außer ihm lässt die Wirklichkeit des Bösen realistisch einschätzen. Das bloße Wissen um diese Gefährdung des Menschen allein genügt allerdings nicht. Zur Überwindung des Bösen in uns und in unserer Welt führt vor allem die entschiedene Ausrichtung auf den liebenden und guten Gott im Gebet. Er hilft, das Böse zu erkennen, es zu meiden und zu überwinden. Er reicht aber auch, wie im Gleichnis vom barmherzigen Vater (Lk 15,11-32) zu sehen ist, immer wieder seine Hand zu einem Neubeginn, wenn einer der Versuchung unterlegen ist.

Das Böse lässt sich nicht einordnen in ein geschlossenes System, es fällt immer aus der Reihe. Seine Wirklichkeit bleibt eine Herausforderung an das Denken und an den Glauben. Wenn wir damit an ein Ende gekommen zu sein meinen, bricht wieder eine neue Frage auf, und alles wird erneut zum Rätsel. Gott hat uns keine theoretische Antwort auf die Frage nach unserer Sünde und Schuld gegeben, sondern sie beantwortet mit der Hingabe seines Sohnes. Jesus Christus hat die Herausforderungen des menschlichen Daseins, auch die der Versuchung, durchlebt und durchlitten, aber er hat sich nicht blenden lassen und nicht nachgegeben. Das macht seine Glaubwürdigkeit aus. "Da er selbst in Versuchung geführt wurde und gelitten hat, kann er denen helfen, die in Versuchung geführt werden" (Hebr 2,18). "Obwohl er der Sohn war, hat er durch Leiden den Gehorsam gelernt; zur Vollendung gelangt, ist er für alle, die ihm gehorchen, der Urheber des ewigen Heils geworden" (Hebr 5,8f).

Er hat das Böse getragen und dessen ganze Wucht auf sich gezogen, aber er hat dem Menschen nicht die Möglichkeit zur Auflehnung, zur Sünde genommen. Der Mensch bleibt auch nach der Erlösungstat Jesu Christi gefährdet, dem Bösen ausgesetzt. Dieser Wirklichkeit entspricht das Gebet Jesu: "Ich bitte nicht, dass du sie aus der Welt nimmst, sondern dass du sie vor dem Bösen bewahrst" (Joh 17,15). Wir machen diese Bitte zu unserer eigenen, wenn wir im Gebet des Herrn sprechen: "Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen" (vgl. Mt 6,13). Amen.

Foto: (c) Bistum Fulda

Artikel auf http://www.kath.net/detail.php?id=10603

   

 

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