IM GESPRÄCH: KLAUS BERGER



Wenn der Böse zupackt

 

Wer hat Angst vorm Teufel? Hierzulande kaum jemand mehr. Zu Unrecht, wie der Theologe Klaus Berger behauptet. Ohne Hölle und böse Mächte unterschlägt die Kirche die Hälfte der Wirklichkeit.

 


 

 

War Jesus ein Exorzist, und sollen die Christen es ihm nachmachen? Im DS-Interview begründet der Heidelberger Theologe seine umstrittenen Empfehlungen. Außerdem beleuchten wir die Haltung der evangelischen und katholischen Kirche zur Teufelsaustreibung.

 

 

 

Herr Professor Berger, kann Exorzismus, die Austreibung von Teufel und Dämonen, heute noch eine akzeptable Methode der Seelsorge sein?

 

Berger: Das hängt davon ab, in welchem Kulturhorizont die Menschen existieren. Es gibt Gegenden in Deutschland, die einige Jahrhunderte nachhinken - etwa einige Gegenden in Oberfranken, wo es vor Jahren einen schlimmen Fall von Exorzismus gab. Auch in einigen norddeutschen Gegenden sind noch böse Geister zu Hause. Wenn Menschen solche Vermutungen hegen, sprechen sie möglicherweise auf Exorzismus an.

 

 

 

In Ihrem Buch "Wozu ist der Teufel da?" bezeichnen Sie das Wort als die wichtigste Waffe gegen das Böse. Und kritisieren, dass Segnen, Fluchen, Beschwören, Lobpreisen und Austreiben aus dem kirchlichen Repertoire weitgehend verschwunden sind. Kann die Kirche zu Formen zurückkehren, die in unserer Kultur kaum mehr verstanden werden?

 

Berger: Den Kulturhintergrund zu beachten ist bei Exorzismen und ähnlichen Dingen wichtig. Womit die Kirche weiterhin verstanden wird und was sie gewissermaßen aggressiv unter die Leute bringen sollte, sind Segnen, Beten, Singen und Segensformeln. Hätte ich meine Kirche gegenüber dem Saal einer NPD- Versammlung, ich würde mich nicht scheuen, unter anderem in einem parallelen Gottesdienst den Ungeist anzufahren im Namen dessen, "der schreitet auf den Flügeln der Winde, der die Stürme zu seinen Boten macht und seinen Dienern flammendes Feuer": Entferne dich von diesen Geschöpfen.
Gerade im Zeitalter der Esoterik verstehen die Menschen das, weil sie es sich ja auf neuheidnische Weise außerhalb besorgen. Dabei geht es um die Dimensionen der Sprache. Unsere Sprache ist nur noch beschreibend und nicht mehr wirklichkeitssetzend. Doch es gibt einen Unterschied zwischen Segnen und Singen und einer bürokratischen Sprache. Beten und Singen haben eine sehr tiefe Bedeutung für die Seele des Menschen.

 

 

 

Keine Einwände, soweit es um Singen und Beten geht. Doch Sie wollen den Teufel beim Namen nennen. Was aber hilft den Menschen die Vorstellung vom Leibhaftigen, wenn es eigentlich darum gehen müsste, Zusammenhänge zu verstehen?

 

Berger: Wenn ich von Teufel und Dämonen rede, geht es primär um moralische Verkommenheit und kollektive Süchte, um Ideologien, um Vorurteile, die die Leute massenhaft besetzt halten, nicht um Heilung psychischer Krankheiten. Die biblische Rede vom Teufel ist deshalb wichtig, weil es Erfahrungen des Bösen gibt, die so intensiv sind, dass wir sie in unserer Sprache nur mit quasi personenhaften Kategorien beantworten können. Hier wirkt etwas so faszinierend, schillernd, verführerisch, überwältigend und heimtückisch zugleich, dass es für uns quasi eine personenhafte Größe darstellt, eine Verführung.

 

 

 

»Das Böse ist dort am intensivsten, wo es sich um Mord an Unschuldigen handelt«

 

 

In Ihrem Buch sprechen Sie von "Kindern des Teufels". Und meinen Mörder und Sexualverbrecher. Welchen Sinn hat eine solche Redeweise, außer den, Menschen lebenslang zu stigmatisieren?

 

Berger: Die Bibel selber redet so, und es geht mir nicht darum, persönlich irgendwelche Menschen so anzureden. Vielmehr geht es etwa da- rum, die Aussage im Johannesevangelium, Kapitel 8 zu erklären, wo die Juden als Kinder des Teufels bezeichnet werden, und zwar deshalb, weil sie Jesus heimtückisch umbringen wollten. Vor diesem Text sollte man sich nicht drücken, wie es die meisten Theologen tun. Denen ist dieser Text wirklich peinlich.

 

 

 

Weil er die Basis dafür bot, Juden zu brandmarken und zu verfolgen - ein verhängnisvoller Text, der letztlich viel Hass säte.

 

Berger: Der Text enthält die Erfahrung, dass das Böse und das Heimtückische dort am intensivsten, am entsetzlichsten sind, wo es sich um Mord an unschuldigen Menschen handelt. Dann würde ich auch heute noch sagen: Dieses ist teuflisch. Wenn die Rede vom Teuflischen einen Sinn hat, dann hier. Aber ich würde nie zu einem Menschen sagen, er sei ein Sohn oder eine Tochter des Teufels.

 

 

 

Die Vorstellung vom Bösen, vom Teufel macht vielen Menschen Angst, und die Kirche hat sie in der Geschichte benutzt, um Angst zu schüren und Menschen unter Druck zu setzen. Darum haben die meisten Theologen den Teufel verbannt. Wird mit dem Teufel nicht automatisch auch die Angst vor ihm wieder belebt?

 

Berger: Die Menschen haben Teufel und Hölle verbannt, weil sie nicht beunruhigt werden möchten, weil sie keinen Spiegel vorgehalten bekommen möchten und dazu neigen, die dunkle Hälfte der Wirklichkeit abzudrängen. Die Bibel aber benennt das namenlos Böse offen und ehrlich mit einem Namen. Doch sie bleibt dabei nicht stehen: Es gibt keine selbständige Satanologie. Vielmehr baut die Bibel den Teufel in ein Drama ein, in dem er immer besiegt wird. Es geht gerade nicht um eine Rückkehr von Ängsten, sondern um eine Unterdrückung der Ängste. Diese Ängste sollten ausgesprochen werden, eine Gestalt bekommen, damit man sie angehen kann und vor allen Dingen damit klar wird, dass das Teuflische am Ende besiegt werden muss. Das ist die Perspektive.

 

 

 

Statt seelische Konflikte als ein innerpsychisches Geschehen aufzufassen, kommt mit dem Teufel eine Macht von außen ins Spiel. Was ist mit dieser Vorstellung gewonnen?

 

Berger: Die primäre Diagnose unserer Zeit lautet, dass die Menschen keinen Sinn finden, dass sie ihre Mitte verloren haben. Die Rede vom Teufel hat den Sinn, dass diese Nöte des Menschen nicht diffus bleiben. Sie sind nicht nur ein individuelles Problem. Vor allem besagt sie: Hier ist etwas, das nicht untrennbar mit meiner Biographie verschmolzen ist, etwas, von dem ich befreit werden kann. Den Ort für diese Trennung vom Bösen hat die Kirche seit alters her in der Taufe gesehen. Dort gibt es die Absage an den Satan, die ich bei einer Erwachsenentaufe sinnvoll finde. Entwürfe in neueren Agenden erinnern ganz und gar an die alten Exorzismusformeln. Es ist wie eine Krebsoperation. Das, was man das Teuflische nennt, ist wie psychischer Krebs. Es nährt sich von uns, hat unser Blut, spricht unsere Sprache und ist doch etwas, von dem wir befreit werden können.

 

 

 

»Eine sehr strenge Bindung an Jesus kann Menschengesunden lassen«

 

 

Doch birgt das Einführen des Teufels unweigerlich die Gefahr, dass Menschen von sich selber glauben, sie seien vom Teufel besessen - oder schlimmer, dass sie andere dessen beschuldigen.

 

Berger: Diese Erfahrung besteht. In der evangelischen Kirche beschäftigt sich der "Befreiungsdienst" mit dem Kampf gegen Dämonen, bei den Katholiken tun dies Exorzisten, wobei der Befreiungsdienst heute wesentlich ausgeprägter ist als Exorzisten bei den Katholiken. Der Befreiungsdienst besteht aus einem Kreis von mindestens 30 Pfarrern in Süddeutschland, die im Nebenberuf Exorzisten sind. Sie berichten regelmäßig, dass der Widerstand, die Krankheit, zunächst wächst. Wenn der Widerstand bei den Kranken nur größer wird, sollte man das Unternehmen abbrechen.

 

 

 

Trotz solcher Bedenken sagen Sie, dass Jesus sich ganz wesentlich als "Exorzisten" verstand. Ist dieser Titel nicht ein für alle Mal durch Missbrauch verdorben?

 

Berger: Im evangelikalen Bereich gibt es Erfahrungen, die man positiv werten könnte. Sie zeigen auch im Nachhinein etwas über den Sinn der Exorzismen nach den Evangelien. Es gibt ja Menschen, die zerfallende Persönlichkeiten haben, deren Ich nicht stark genug ist, wie man als Laie sagen würde. In den frühchristlichen Exorzismen wird Jesus ersatzweise diese Autorität. Daher befiehlt er streng und verbindlich als der Herr. Im evangelikalen Bereich lässt sich diese Erfahrung bei geeigneten Menschen auch heute noch nachvollziehen. Eine sehr strenge Bindung an Jesus als den Herrn kann Menschen durchaus psychisch und menschlich gesunden lassen.

 

 

 

Damit erhält der Exorzist eine große, unkontrollierte Macht über Menschen.

 

Berger: Erstens sind die Texte, die wir als Exorzismustexte zur Verfügung haben, gefüllt mit biblischen Erinnerungen, so dass es nicht um die Macht des Exorzisten geht, sondern um die Macht Gottes. Zweitens ist der Rat moderner Seelsorger, die auf diesem Gebiet tätig sind, sehr ernst zu nehmen, dass man die Menschen nicht beschwören, nicht konfrontieren soll, sondern ihnen konpraekativ - das heißt: gemeinsam betend - begegnen soll. Gemeinsames Gebet würde ich als angemessenste Form betrachten und nicht ein Anschnauzen als Kind des Teufels.

 

 

 

Sie kritisieren eine Kirche, die die dunkle Seite ausblendet und sich nur diakonisch-therapeutisch versteht. Damit, so sagen Sie, überlasse sie der rechten Szene und den Satanisten Blut- und Gewaltthemen. Ist es Aufgabe der Kirche, diese Themen zu besetzen?

 

Berger: Wir leben in einer Kirche, die das Christentum im Wesentlichen auf Vernunft und Moral reduziert. Sie erwartet etwa von einem Täufling nicht mehr, als dass er ein anständiger Mensch wird, ausgestattet mit bestimmten Tugenden. Diese Sicht der Dinge schneidet die Hälfte der Wirklichkeit ab und benennt nicht mehr die Bedrohungen, die den Menschen von der Finsternis her heimsuchen, die Ängste, die Rachephantasien. All das wird unter den Tisch gekehrt. Wir tun so, als lebten wir in einem Rahmen, den man nur noch korrekt ausfüllen muss, wie blaue Ameisen. Wenn die Erfahrungen mit der Nachtseite des Daseins in der Kirche nicht mehr vorkommen, machen sie sich außerhalb wieder Luft, in Satanskulten. Die Menschen suchen im Zusammenhang mit Religion den Schauder, weil sie darin das Schauderhafte der eigenen Seele wieder erkennen. Wenn man das reduziert, bleibt nur das Menschenbild eines auf moralisches Wohlverhalten dressierten Menschen. Das kann auf die Dauer nicht gut gehen.

 

 

 

»Wenn es ganz schlimm ist, muss man bösen Geistern befehlen«

 

 

Würden Sie einem Menschen, der in einer seelischen Krise steckt, raten, einen Pfarrer aufzusuchen?

 

Berger: Man muss unterscheiden zwischen offen erkennbarer psychischer Krankheit und seelischer Lebenskrise. Bei auch für Laien erkennbaren Krankheitsanzeichen ist der Nervenarzt zuständig. In seelischen Krisen würde ich nur einen besonders geeigneten Pfarrer aufsuchen, möglichst keinen Hobby-Psychologen. Im Übrigen denke ich, dass seelische Leiden des Menschen heute eine interdisziplinäre Angelegenheit sind, die eine Disziplin allein nicht bewältigen kann.

 

 

 

Pfarrer sind Fachleute für Seelsorge. Welche Heilmittel stehen ihnen zur Verfügung?

 

Berger: Zunächst kann der Pfarrer den Kinderglauben in Frage stellen, die Psychologie könne den Menschen erlösen. Erlösung von Schuld, von Todesangst bleibt das Feld der Religion. Für den Pfarrer geht es darum, Menschen bei der Befreiung von Schuld und Angst zu helfen. Hingegen bewegen wir Theologen uns nicht speziell im Bereich der psychischen Krankheiten. Grundsätzlich gilt aber die Regel, dass derjenige Recht hat, der im Ganzen und auf Dauer hilft.

 

 

 

An welche Mittel denken Sie?

 

Berger: Die Mittel des Theologen sind Sprache und Zeichen. In der Sprache geht es um Beten und Singen. Die Zeichen beziehen sich auf die Sakramente und all das, was die Katholiken unter Sakramentalien - also Kreuzzeichen, Salbung mit Öl, Weihe von Kräutern, Reinigung mit geweihtem Wasser - verstehen. Jesus sagt, dass man beten und fasten soll. Wenn es ganz schlimm ist, muss man bösen Geistern befehlen. Das nennt man dann Exorzismus.

 

Die Fragen stellte Hedwig Gafga

 

©DS - DEUTSCHES ALLGEMEINES SONNTAGSBLATT,
12. Mai 2000 Nr. 19/2000

 

 

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